Biografische Splitter zur Berliner "Neuen Damengemeinschaft" (ND)



Behnke, Frau

D., Fräulein

Dalbelli, Alma

David, Fräulein

H., Frau

Katz, Hedwig

Lehmann, Olga

M., Emmy

Oberg, Anna

Pruksch, Anna

S., Sander, Fräulein

Saß, Fräulein

Sch., Wally

Schramm, Wally

Sterta, Martha

Wolter-Dalbelli, Alma


Behnke, Frau


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Keine Quellen überliefert

Verbindung zur ND:
Sie tritt als Zeugin im Prozess am 21.4.1909 gegen Felix Wolff und "Die Große Glocke" auf

Pressestimme:
"Zeugin Frau Behnke erklärt, daß ihr oft von anderen Klubmitgliedern unsittliche Anträge gemacht worden seien." (Der Oberschlesische Wanderer, 23.04.1909)

Verbindung zu LSBTI:
Keine Quellen überliefert

Bekanntheitsgrad Name:
Vermutlich einmalige Namensnennung (Nachname) in Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909.


D., Fräulein / David, Fräulein (vermutlich identisch)


Biografische Angaben:
ledig
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Rezitatorin, Schauspielerin

Verbindung zur ND:
_war durch eine Kontaktanzeige an Hedwig Katz herangetreten
_war die Geliebte der verheirateten Hedwig Katz und hat in deren Scheidungsprozess gegen sie ausgesagt
_ist mindestens einmal im Damenklub aufgetreten
_traf ansonsten Hedwig Katz in deren Zuhause
_Sie ist eine der fünf Klägerinnen in der Beleidigungsklage gegen "Die Große Glocke"

Verbindung zu LSBTI:
Keine Quellen überliefert

Bekanntheitsgrad Name:
Vermutlich einmalige Namensnennung (Nachname) in Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909.


Dalbelli, Alma


s. Wolter-Dalbelli, Alma


David, Fräulein


s. D., Fräulein


H., Frau


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Keine Quellen überliefert

Verbindung zur ND:
_Zeugin?
_Frau H. war Mitglied in der "Neuen Damengemeinschaft"
_ist mindestens einmal im Damenklub aufgetreten
_Zeitungsberichte behaupten, Frau H. sei "wegen verschiedener Eifersüchteleien" aus dem Klub "Neue Damengemeinschaft" ausgetreten (Der Oberschlesische Wanderer, 23.04.1909)


Katz, Hedwig (geb. 1868, Todesdatum unbekannt)


Die Schriftstellerin Hedwig Katz1 wurde am 6. Juli 1868 als Ernestine Auguste Hedwig Cruciger (auch: Cruziger) in Bernburg, Herzogtum Anhalt, geboren. Ihre Eltern waren evangelisch. Am 1. Oktober 1890 heiratete Hedwig in Berlin Emil Katz2 (1865-1914). Sie hat mindestens drei Kinder geboren: Martha Hedwig Caecilie Erna Katz wurde 1891 geboren. Der 1892 folgende Sohn Karl Leopold Gottlieb Max Edwin Katz wurde nur 16 Tage alt. Eine weitere Tochter, Natalie Amalie Paula Edit Katz, wurde 1895 geboren.3 Ob es noch weitere Kinder gab, konnte nicht herausgefunden werden.
Ab 1906 scheinen Hedwig und Emil Katz bereits in Scheidung gelebt zu haben. Es lässt sich nicht belegen, ob Hedwig Katz die Scheidung gegen ihren Mann angestrengt hat, wie in mancher Berliner Zeitung behauptet wird, oder umgekehrt.4 Jedenfalls wurde die Ehe laut Heiratsurkunde am 9.1.1909 geschieden.5

Hedwig Katz lernte die Rezitatorin und Schauspielerin Fräulein D. (vermutlich identisch mit David) über die Inserate zur "Neuen Damengemeinschaft" kennen "und es hatte sich zwischen beiden bald ein unsittlicher, wenn auch strafrechtlich nicht zu treffender Verkehr herausgebildet, der etwa drei Monate dauerte".6 Katz könnte sogar diejenige gewesen sein, die das Inserat aufgegeben hat, das die "Neue Damengemeinschaft" konstituierte.7 Allerdings war sie es offenbar auch, die später "für den Artikel, der zu der Anklage und Freisprechung des Redakteurs der ‚Großen Glocke' führte, das Material geliefert" hat.8 Weil sie Fräulein D. dazu aufforderte, im Ehescheidungsprozess nichts über ihre intime Beziehung auszusagen, musste Hedwig Katz sich im Juli 1909 wegen Verleitung zum Meineid vor Gericht verantworten.9 Dabei verstrickte sie sich in Ungereimtheiten. Deshalb wurde die Verhandlung unterbrochen und die Angeklagte auf ihre Zurechnungsfähigkeit hin untersucht. Im Mai 1910 wurde ihr pathologisierend attestiert, sie sei "eine sehr hysterische und neurasthenische [nervenschwache] Frau", der § 51 RStGB10 könne aber nicht zur Anwendung kommen. Das Gericht verurteilte sie zu einem Jahr Zuchthaus.11 Eine mangelnde Zurechnungsfähigkeit hätte Schuldunfähigkeit bedeutet, ihr aber wohl auch die Mündigkeit abgesprochen. Mit dem Urteil verliert sich ihre Spur.


Lehmann, Olga


Biografische Angaben:
ledig
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
"Geschäftsdame" (Der Oberschlesische Wanderer, 23.04.1909)

Verbindung zur ND:
_Vorsitzende der "Neuen Damengemeinschaft"
_eine der fünf Klägerinnen
_sorgt im Februar/März [?] 1909 mit den anderen Vorstandsmitgliedern für eine einstweilige Verfügung gegen den Redakteur der Großen Glocke: Es drohte eine Konventionalstrafe von 500 Mark für jeden Übertretungsfall: Es sollte verboten werden, noch irgendetwas über die "Neue Damengemeinschaft" zu veröffentlichen. Die Verfügung wurde angefochten und am 29.4.1909 vor der 5. Zivilkammer des Landgerichts I verhandelt und aufgehoben.12

Pressestimmen:
_"Die Vorsitzende des Klubs ist ein Mannweib, das mit einer Freundin zusammenlebt und den etwas extravaganten Geschmack hat, sich anläßlich der Geburtstage der Klubmitglieder in eleganter männlicher Gesellschaftstoilette und Perücke sehen zu lassen." (Die Große Glocke, 20.1.1909) _"… ein Mannweib, das nach der Art eines Lebemannes die Bekanntschaften von Kokotten13 suchte" (General-Anzeiger für Hamburg-Altona, 23.04.1909)


M., Emmy


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Artistin oder Schauspielerin oder Tänzerin

Verbindung zur ND:
Sie besuchte offenbar die Lokale von Anna Oberg. Zumindest in deren Lokal in der Taubenstraße 8 gingen auch die Mitglieder der "Neuen Damengemeinschaft" ein und aus.

Verbindung zu LSBTI:
1910 prominente Besucherin des Lokals von Anna Oberg in der Zimmerstraße 58 (Die Große Glocke, 31.8.1910)


Oberg, Anna, genannt "Fritz" / "Vater Fritz"14 / "Mutter Oberg"15


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
_Schankwirtin
_betreibt 1910 und 1911 einen Bierverlag in einem Gewölbe der Zimmerstraße 5816
_betreibt 1912 auch das Kellerlokal in der Taubenstraße 817

Postkarte mit Taubenstraße 1898
Impressionen aus der Taubenstraße Nr. 7 von 1898.
Hinweis: Ob es sich bei dem niedrigeren, gelb getünchten
Haus um die Taubenstraße 8 handelt, ist unklar.

Verbindung zur ND:
Pressestimmen:
"Der Polizei war es seit längerer Zeit bekannt, daß dieses Lokal [Taubenstraße 8] eine Art Vermittlungsstelle und Sammelpunkt für Damen bildete, die früher der durch einen vor längerer Zeit verhandelten Skandalprozeß bekannt gewordenen ‚Neuen Damengemeinschaft' angehört hatten." (Berliner Tageblatt, 12.5.1912, Morgen-Ausgabe)

Verbindung zu LSBTI:
1910 Razzia in der Zimmerstraße 5818 (Die Große Glocke, 31.8.1910)
Pressestimmen:
"Die Angeklagte [Pruksch] wie auch die Wirtin selbst [Oberg] trugen Männerkleidung, während andere weibliche Gäste Zigarren rauchend an den Tischen saßen." (Berliner Tageblatt, 12.5.1912, Morgen-Ausgabe)


Pruksch, Anna (1867-1921), evtl. auch als Fräulein Pusch


Anna Pruksch wurde am 7.5.1867 in Leitmeritz, Böhmen geboren.19 Leitmeritz gehört heute als Litomĕřice zu Tschechien.20 Im Personenstandsregister von Leitmeritz ist für Anna kein Vater angegeben: Offenbar wurde sie unehelich geboren.21 Die Mutter, Anna Proksch (darüber geschrieben: "Pruksch"), war katholisch und wohnte in der "Vorstadt". Möglicherweise handelte es sich um eine musikalische Familie, denn im Leitmeritzer Wochenblatt erscheint häufiger der Name Proksch in Verbindung mit Musikern.


Klaviertasten

Jedenfalls war Tochter Anna spätestens in Berlin als Klavierspielerin tätig, wo sie an lesbischen* Treffpunkten für Stimmung sorgte. Sie dürfte identisch sein mit der häufig genannten Zeugin P:22 Es bleibt jedoch unklar, ob mit "Frl. Pusch"23 ein weiteres Mitglied der "Neuen Damengemeinschaft" oder doch auch Anna Pruksch gemeint war. "Diese bekundete, daß sie selbst anormal veranlagt sei und deshalb Aufnahme in der ‚Neuen Damengemeinschaft' nachgesucht habe" (Berliner Volks-Zeitung, 22.4.1909, Morgen-Ausgabe). Nach dessen Zerschlagung wurde der Damenklub 1912 "rekonstruiert"24 und die zur heimlichen Überwachung anwesende Polizei verhaftete Pruksch, als sie vor ehemaligen Mitgliedern – "fast dieselben Personen wie damals"25 der "Neuen Damengemeinschaft" – ein, wie es abfällig hieß, "zotiges Lied" sang. "Die Angeklagte [Pruksch] wie auch die Wirtin selbst [Oberg] trugen Männerkleidung, während andere weibliche Gäste Zigarren rauchend an den Tischen saßen."26 Anna Pruksch wurde wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" vor Gericht gestellt. Die Verurteilung zu neun Monaten Gefängnis wurde in der Berufungsverhandlung auf einen Monat heruntergesetzt und durch die Untersuchungshaft als verbüßt angesehen. Offenbar waren ihre Mitstreiterinnen beim Prozess zur Unterstützung anwesend, denn sie wurde von ihnen nach der Urteilsverkündung "beglückwünscht" und fuhr mit ihnen "im Automobil davon".27 Wo und mit wem Pruksch im Anschluss und in den ersten beiden Kriegsjahren arbeitete, ist nicht überliefert.

Anfang des Jahres 1916 zog sie nach Hamburg. Eine eigene Wohnung konnte sie sich in Hamburg wohl nicht leisten, sie wohnte meist zur "Logis" ("L"), also zur Untermiete. In den fünf Jahren, die sie in Hamburg verbrachte, zog sie sehr oft um, konnte offenbar in den Wohnungen immer nur wenige Monate, nur selten auch mal ein halbes Jahr bleiben. Da allerdings auch in ihre Hamburger Meldekarte Klavierspielerin als Beruf eingetragen ist, verdiente sie sicher immer noch als Musikerin ihren Unterhalt.28

Am frühen Morgen des 24. Juni 1921 wurde die 1,60 m29 große 54-jährige Anna Pruksch30 ganz in der Nähe ihrer Unterkunft in der Hamburger Kastanienallee von Unbekannten brutal erschlagen. Das überlieferte Sektionsprotokoll des Hamburger Hafenkrankenhauses nennt als wahrscheinliche Todesursache Schädelbasisbruch und "Tod durch äußere Gewalt". Sie erlitt zahlreiche weitere Verletzungen.31 Eine Hamburger Zeitung berichtet von dieser Gewalttat und erwähnt, dass die Tote ‚Männerkleidung' trug, als sie erschlagen wurde. Die Presse argwöhnt, Anna Pruksch sei "Mitwisserin eines Geheimnisses" gewesen und deshalb hätten ihre "Genossen" sie "aus dem Weg geräumt". Es fehle aber jede Spur von den Tätern.32
Lesben und/oder trans*feindliche Gewalt wurde von der Presse nicht in Betracht gezogen.


Sander, Fräulein, womöglich auch: "Fräulein S."


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Schauspielerin

Verbindung zur ND:
_eine der fünf Klägerinnen
_Mitglied der "Neuen Damengemeinschaft"

Verbindung zu LSBTI:
Möglicherweise keine: "Vor Beginn der Beweisaufnahme leitete Amtsgerichtsrat Wollner Vergleichsverhandlungen ein, die nur bezüglich der Klägerin Fräulein S. Erfolg hatten. Dieser attestierte der Angeklagte, daß er sie mit dem Artikel nicht gemeint habe" (Berliner Volks-Zeitung, 22.04.1909).

Bekanntheitsgrad Name:
Namensnennung in Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909; aber ist der Name richtig? Sander, Sanden, mitunter ist auch von "Frl. Sanger" die Rede.33 Im Deutschen Bühnenjahrbuch wiederum gibt es eine Kät(h)e Sanders. Die Angaben sind durchgängig zu ungenau für etwaige Zuordnungen.


Saß, Fräulein


Biografische Angaben:
Keine Quellen überliefert

Berufliche Tätigkeit:
Schauspielerin

Verbindung zur ND:
_eine der fünf Klägerinnen
_Mitglied der "Neuen Damengemeinschaft"

Bekanntheitsgrad Name:
Namensnennung (Nachname) in Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909.


Sch., vermutlich Schramm, Wally


Biografische Angaben:
Elberfeld (heute Teil von Wuppertal)34

Berufliche Tätigkeit:
_Schauspielerin und Tänzerin
_enge Freundin der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler (1869-1945)35
_Als Humoristin tritt sie noch 1927 in Hamburg im "Bieber" auf: "Ueberaus köstlich ist Wally Schramm, eine Humoristin, die auch den größten Griesgram zum Lachen zwingt und die in ihrer Art kaum Konkurrenz hat".36

Verbindung zur ND:
Rückschlussmöglichkeit durch eine Angabe in der "Großen Glocke": Wally Sch., die mit anderer Prominenz bei der Razzia in Frau Obergs Bierkeller in der Zimmerstraße 58 von der Polizei notiert wurde. Sie sei bekannt aus dem Berliner Kabarett "Chat Noir".37 Wally Schramm war eine Künstlerin, die zu dieser Zeit dort aufgetreten ist.38 Auch Claire Waldoff (1884-1957), die ab 1906 in Berlin lebte, trat zunächst auch im "Chat Noir" auf.39

Verbindung zu LSBTI:
_enge Freundin der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler (1869-1945)40
_Es gab Kontakte zwischen dem Kreis um Else Lasker-Schüler und den Gästen des "Como" am Schöneberger Ufer 2541

Bekanntheitsgrad Name:
von der Zeitung "Die Große Glocke" als prominent eingeschätzt und mit abgekürztem Nachnamen ("Wally Sch.") genannt42


Sterta, Martha (1881-1946)


Die als "Kaufmannsfrau Sterta" Bezeichnete (Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909) war im April 1909 eine der fünf Klägerinnen im Beleidigungsprozess gegen den Redakteur der Wochenschrift "Die Große Glocke". Es könnte sich bei ihr um Martha Sterta handeln, die als Hermine Ernestine Lina Martha Peisker am 30.3.1881 in Wiesbaden geboren und evangelisch getauft wurde. Sie heiratete 1901 Friedrich Hermann Theodor Sterta (geb. 1875) und wurde 1906 wieder geschieden. Wann und wie sie nach Berlin kam, ist nicht überliefert. Wegen der "Neuen Damengemeinschaft"? Sie wurde in der Presse als eine der fünf Klägerinnen genannt (Der Oberschlesische Wanderer, 23.4.1909), die sich gegen den Artikel in der "Großen Glocke" zur Wehr setzten, in dem die Mitglieder der "Neuen Damengemeinschaft" eines unsittlichen Verhaltens beschuldigt wurden.

1910 wohnte sie in Berlin-Rixdorf und wird im Berliner Adressbuch als verwitwete "Handelsfrau" Martha Sterta geführt. 1915 arbeitete sie als "Aufsichtsdame" in Berlin-Lankwitz.43 1923 heiratete sie erneut, und zwar Wilhelm Franz Otto Schönberg (geb. 1873). Diese evangelisch geschlossene Ehe wurde 1935 geschieden. 1946 starb Martha Schönberg in einem Krankenhaus in Berlin-Dahlem.44


Wolter-Dalbelli, Alma, auch: Dalbelli, Alma; Wolter, Alma (1872-1937)


Postkarte zum Restaurant von Carlo Dalbelli
Postkarte, Restaurant "Zum Vesuv"
von Carlo Dalbelli in der Potsdamer Str. 13

Alma Wolter-Dalbelli wurde als Alma Marie Cäcilie Wolter am 21.6.1872 in Berlin geboren, wo sie vermutlich auch aufgewachsen ist. Ihre Eltern waren evangelisch und die Tochter scheint diese Konfession nicht abgelegt zu haben. Im September 1897 heiratete sie den katholischen Journalisten Carlo Dalbelli (geb. 1865 in Brescia, Italien), der italienischer Herkunft war und bereits einige Jahre als Berlin-Korrespondent für die mailändische Zeitung "Il Secolo" arbeitete.45 Er hatte sich 1896 gegen eine mediale anti-italienische Hetzkampagne der Berliner Politischen Polizei zur Wehr setzen müssen.46

Postkarte zum Restaurant von Carlo Dalbelli
Postkarte, Restaurant "Zum Vesuv"
und Hotel "Vesuv" von Carlo Dalbelli
in der Bülowstr. 14, 1909

Carlo Dalbelli war schon einmal verheiratet und ging mit Alma Wolter die zweite Ehe ein.47 Das Paar wohnte zu dieser Zeit in der Königin-Augusta-Straße 19, in der Nähe der Potsdamer Brücke. Unter dieser Adresse betrieb Dalbelli mindestens von 1901 bis 1904 die Weinstube "Zum Vesuv". Dann zog das Restaurant von 1905 bis 1909 in die Potsdamer Straße 13, III;48 anschließend lautete die Adresse für Restaurant und Hotel: Bülowstr. 14. Carlo Dalbellis "Vesuv", in dem sich verschiedene Kabarettgruppen, Literaten und Literatinnen einfanden49, wurde als wichtiger künstlerischer Treffpunkt über Berliner Grenzen hinaus bekannt und berühmt.

Alma (Wolter-)Dalbelli machte sich bald als Geschäftsinhaberin selbstständig: Am 4. März 1909 eröffnete sie am Schöneberger Ufer 25 das Weinrestaurant "Como" mit Mittagstisch. Ihre Eröffnungsanzeige warb zudem mit einem täglichen "Künstler-Konzert".50 Sicherlich waren ihr auch einige Stammgäste aus dem "Vesuv" ins "Como" gefolgt.

Anzeige von Alma Dalbelli, Berliner Tageblatt, 13.3.1909
Anzeige von Alma Dalbelli, Berliner Tageblatt,
13.3.1909, Staatsbibliothek zu Berlin

Ab März 1909 konnte die "Neue Damengemeinschaft" ihre Zusammenkünfte also auch im Restaurant "Como" abhalten. Dort sollen sich nämlich laut Zeitungsbericht die Mitglieder dieser lesbischen Gruppierung weiter getroffen haben, nachdem sie aus anderen Lokalen vertrieben worden waren.51

Alma Wolter ging weiter eigene Wege und trennte sich von Carlo Dalbelli. Zwar ist im Berliner Tageblatt nachzulesen, dass sie sich hat scheiden lassen, aber in der Heiratsurkunde ist vermerkt, dass die Ehe am 8. Dezember 1910 für nichtig erklärt worden war – weshalb Alma Wolter später auf der Sterbeurkunde 1937 als "ledig" kategorisiert wurde.52

1915 war noch einmal von Alma Wolter-Dalbelli in der Zeitung zu lesen: Sie und ein angesehener Architekt, der sein Büro um die Ecke vom Weinrestaurant ebenfalls an der Potsdamer Brücke betrieb, waren im Sommer in einem Kurort an der Ostsee denunziert worden. Sie wurden angezeigt, weil Kurgäste in einem Gespräch Verunglimpfungen des Kaisers herausgehört haben wollten. Die Anklage wegen Majestätsbeleidigung wurde allerdings nach einigen Monaten als gegenstandslos fallen gelassen.53 Ein Besuchsverbot des "Como" für militärische Personen ab 1915 könnte auf ein potenziell homosexuelles Publikum verweisen;54 gleichzeitig liegt nahe, dass während der Untersuchung wegen der Majestätsbeleidigung Staatsdiener keinesfalls in diesem Restaurant angetroffen werden sollten.


Links das Eckhaus ist das Schöneberger Ufer 25; Postkarte, gelaufen 1907
Links das Eckhaus ist das Schöneberger Ufer 25
Postkarte, gelaufen 1907

Bis mindestens 191655 führte Alma Wolter-Dalbelli das "Como" als Schankwirtin; später scheint sie das Restaurant abgegeben zu haben. Luise Schmidt, geb. Flohr, verlor, wie es im Amtsblatt 1920 heißt, "aufgrund der Fernhaltung unzuverlässiger Personen vom Handel" vorübergehend die Lizenz,56 führte aber das Restaurant offenbar von 1922 bis mind. 1931 am Schöneberger Ufer weiter.57 Alma Wolter-Dalbelli betrieb unterdessen etwa ab Ende 1924 das Lokal "Zum Rendezvous" in der Lützowstraße 91 und warb dafür mit einer Anzeige in der Homosexuellen-Zeitschrift Die Fanfare, die auch von (lesbischen) Frauen* gelesen wurde.58 1926 bis 1928 war Wolter-Dalbellis Berufsbezeichnung "Kauffrau"; sie wohnte zu dieser Zeit in der nahen Schillstraße 9.59

Sie blieb dem Kiez verbunden: Mitte der 1930er Jahre lautete ihre Adresse Nollendorfstraße 36 bzw. Maaßenstraße 8. Für Eckhäuser wurden im Berliner Adressbuch oft mehrfache Anschriften aufgeführt.60

Über Wolters Haltung zum und ihr Verhalten während des NS ist bislang nichts bekannt.
Am 11. Mai 1937 ist Alma Wolter im Städtischen Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg 64-jährig gestorben.61

Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger (Bonn/Berlin/Düsseldorf 12/2020, um alte Ansichten ergänzt 10/2022; aktualisiert und erweitert [Wolter-Dalbelli], 12/2022)

Zitiervorschlag:
Ingeborg Boxhammer/Christiane Leidinger: Biografische Splitter zur Berliner "Neuen Damengemeinschaft". Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane (30.12.2020/2022). URL https://www.lesbengeschichte.org/subk_bio_splitter_d.html [cited DATE].





1 Sie ist wohl nicht identisch mit Helene Katz in Sophie Patakys "Frauen der Feder": http://www.zeno.org/Pataky-1898/A/Katz,+Frau+Helene, letzter Abruf 4.11.2020.


2 Heiratsregister Berlin, ancestry.de, letzter Abruf 1.10.2020.


3 Ancestry.de, letzter Abruf 14.11.2020.


4 Berliner Tageblatt, 28.05.1910, Morgen-Ausgabe.


5 Heiratsregister Berlin, ancestry.de, letzter Abruf 1.10.2020. – Emil Katz hat offenbar am 28.5.1910 zum zweiten Mal geheiratet: Helene Maria Krause (geb. 1878 in Kaliningrad, Russland), ancestry.de, letzter Abruf 30.10.2020.


6 Vossische Zeitung, 28.05.1910, Morgen-Ausgabe.


7 Berliner Volks-Zeitung, 28.05.1910, Morgen-Ausgabe.


8 Vorwärts, 16.07.1909.


9 Vorwärts, 28.05.1910.


10 Der Paragraf regelt Gründe, die eine Strafe ausschließen oder mildern können.


11 Vossische Zeitung, 28.05.1910, Morgen-Ausgabe.


12 Berliner Volks-Zeitung, 30.04.1909, Abend-Ausgabe.


13 Im deutschen Rechtschreibduden wird Kokotte nach wie vor unkritisch wie folgt definiert: "elegante Frau mit guten Umgangsformen, die mit Männern sexuell verkehrt und sich von ihnen aushalten lässt", https://www.duden.de/rechtschreibung/Kokotte, Letzter Abruf 11.12.2020.


14 Sexualreform 1912 (9).


15 Die Große Glocke, 31.8.1910.


16 Adressbuch Berlin 1911.


17 Berliner Tageblatt, 28.7.1912, Morgen-Ausgabe.


18 Die Große Glocke, 31.08.1910.


19 Meldekartei Anna Pruksch, 1892-1925 R, 332-8 A 30, Staatsarchiv Hamburg.


20 Später wurde der Ort durch Zwangsmaßnahmen der NS-Diktatur bekannt: 1944 errichteten Nazis in der Nähe ein KZ-Außenlager des KZ Flossenbürg.


21 Personenstandsregister N_I_N_inv c 4704, sig 98, 57, 1860-1867, Litomerice 309, Staatliches Gebietsarchiv Litomerice, vademecum.soalitomerice.cz, letzter Abruf 30.9.2020.


22 Unter vielen anderen auch hier genannt: Berliner Börsen-Zeitung, 22.04.1909, Morgen-Ausgabe.


23 Der Oberschlesische Wanderer, 23.04.1909.


24 Die Große Glocke, 15.5.1912.


25 Die Große Glocke, 15.5.1912.


26 Berliner Tageblatt, 12.5.1912, Morgen-Ausgabe.


27 Die Große Glocke, 31.7.1912.


28 Meldekartei Anna Pruksch 1892-1925 R, 332-8 A 30, Staatsarchiv Hamburg.


29 Seemannskrankenhaus, Hafenkrankenhaus, Sektionsprotokolle 1921 Protokollnummer 1-560, 175/1921, Staatsarchiv Hamburg.


30 Sterbeurkunde, Ancestry.de, letzter Abruf Juli 2020.


31 Seemannskrankenhaus, Hafenkrankenhaus, Sektionsprotokolle 1921 Protokollnummer 1-560, 175/1921, Staatsarchiv Hamburg. Das Protokoll wurde unterschrieben von "Dr. Clara Schmidt" (Lebensdaten unbekannt).


32 Zum Totschlag in der Kastanienallee. In: Neue Hamburger Zeitung, 26.6.1921, S. 2.


33 Volksfreund, 26.04.1909.


34 Vgl. Bauschinger, Sigrid: Else Lasker-Schüler. Biographie. Göttingen 2004, S. 160.


36 Hamburgischer Correspondent, 14.3.1927.


37 Die Große Glocke, 31.08.1910. – Das "Chat Noir" war 1908 von Theaterdirektor Rudolf Nelson (1878-1960) ins Leben gerufen worden. Vgl. Karin Ploog: …Als die Noten laufen lernten…: Geschichte und Geschichten der U-Musik bis 1945 – Erster Teil, Norderstedt 2015, S. 587.


38 Vgl. die Liste mit Freundschaften von Else Lasker-Schüler www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_048s.htm, letzter Abruf 14.11.2020.


39 Vgl. Kühn, Volker: Claire Waldoff, Weeste noch…? Erinnerungen und Dokumente. Berlin 1997, S. 137.


40 Vgl. www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_048s.htm, letzter Abruf 14.11.2020.


41 Dobler 2008: 392.


42 Die Große Glocke, 31.8.1910.


43 Berliner Adressbuch 1915.


44 Heiratsurkunden, Sterbeurkunde, ancestry.de, letzter Abruf 15.11.2020.


45 Heiratsregister Berlin, Nr. 1479 vom 29.12.1894, ancestry.de, letzter Abruf 8.12.2022.


46 Vgl. z. B. Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 23.12.1896, S. 2; Bösch 2009, bes. Kp. 5: Journalismus und Pressepolitik als Skandalon. – Einer der politischen Agenten war Ernst Normann-Schumann [d. i. Wilhelm Friedrich Ernst Schumann (geb. 1853)], der hier mit dem Kriminalkommissar Eugen von Tausch (geb. 1844) zusammenarbeitete.


47 Heiratsregister Berlin, Nr. 652 vom 5.9.1897, ancestry.de, letzter Abruf 8.12.2022.


48 Adressbücher Berlin, 1899-1910.


49 Resi Langer: Das unsichtbare Kabarett. In: Berliner Tageblatt, Morgen-Ausgabe, 5. Beiblatt, S 23. Dobler 2008: bes. 392-398.


50 Berliner Tageblatt, 2.3.1909, Morgen-Ausgabe. – In der Anzeige ist von "Neueröffnung" die Rede.


51 Vgl. Die Fackel, 18.5.1912.


52 Heiratsregister Berlin, Nr. 652 vom 5.9.1897; Sterberegister Berlin, Nr. 666 vom 11.5.1937, ancestry.de, letzter Abruf 8.12.2022.


53 Berliner Tageblatt, Abendblatt, 20.8.1915; 15.11.1915. – 2022 wurde im Internet bei einem Auktionshaus der Verkauf eines Werbefächers vom "Weinrestaurant Como" am Schöneberger Ufer 25 dokumentiert, der Kaiser Wilhelm II. und den Kronprinzen abbildet. Dieser Fächer scheint eher Kaisertreue nahezulegen.


54 Dobler 2008: 373.


55 Vgl. Berliner Adressbuch 1914; 1916.


56 Nr. 427, 13.5.1920, Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jahrgang 1920, S. 143. Der Hintergrund lässt sich bislang nicht rekonstruieren.


57 Vgl. Adressbücher Berlin 1922, 1923, 1927, 1930, 1931.


58 Die Fanfare, Nr. 1, 1925. Herzlichen Dank für diese Information an Jens Dobler. Siehe zur Einordnung der Zeitschrift Stefan Micheler: Zeitschriften, Verbände und Lokale gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik, Online-Publikation vom 1.8.2008: http://www.stefanmicheler.de/wissenschaft/stm_zvlggbm.pdf, Abruf am 9.12.2022.


59 Vgl. Berliner Adressbücher 1926, 1928.


60 Im Adressbuch steht Alma Wolter unter Nollendorfstraße, in der Sterbeurkunde ist die Maaßenstraße angegeben, Adressbuch Berlin 1937; Sterberegister Berlin, Nr. 666 vom 11.5.1937, ancestry.de, letzter Abruf 8.12.2022.


61 Sterberegister Berlin, Nr. 666 vom 11.5.1937, ancestry.de, letzter Abruf 8.12.2022.



Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des Mikroforschungsprojektes
"Diskriminierende Angriffe und offensive Abwehr – Eine Geschichte der Selbstorganisierung ‚Neue Damengemeinschaft' und ihrer selbstbewussten Akteurinnen* in Berlin um 1900"
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Laufzeit: 10/2020-12/2020
Gefördert von: Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zur Forschungsförderung von Mikroprojekten, Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung

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