Lesbische Spuren im FilmVon den Anfängen bis 1933 |
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Zapatas Bande – Ich möchte kein Mann sein – Anders als die anderen – Die Büchse der Pandora – Mädchen in Uniform – Anna und Elisabeth – Viktor und Viktoria In den ersten Jahren der Filmgeschichte taucht Anziehung zwischen Frauen im deutschen Stummfilm nur andeutungsweise und leicht übersehbar am Rande und in Form von Hosenrollen1 auf. In einer Notsituation oder auch als augenzwinkerndes Täuschungsmanöver legt eine Frau Männerkleider an, um mit einer Person oder Situation anders umgehen zu können als es ihr die Frauenrolle vorschreibt.2 Dabei kommt es zwischen der Hosenträgerin und einer in der Regel davon geblendeten traditionell gekleideten Frau unter Umständen sogar zu einem Kusswechsel (Zapatas Bande, Urban Gad, 1914) oder auch nur zu einer blickreichen Annäherung (Ich möchte kein Mann sein, Ernst Lubitsch, 1918). Beides endet spätestens mit der Enttarnung der tatsächlichen Geschlechtszugehörigkeit, wobei die Aufmerksamkeit einer Frau, die der verkleideten Frau zuteil wird, von dieser – wie in den genannten Beispielen – meist als unangenehm empfunden wird. Asta Nielsen spielt Asta Nielsen, die für einen Filmdreh in die Rolle des Räubers Zapata schlüpft und dummerweise mit ihrer Bande nicht die erwartete Filmkutsche überfällt, sondern die der zufällig des Weges kommenden Gräfin Bellafiore mit ihrer Tochter Elena. Elena ist von dem "schönen Räuber" (Zwischentitel!) derart angetan, dass sie ihn spontan auf den Mund küsst – was Asta Nielsen nicht abwehren kann, aber gerne unterbinden würde. Auch in einer späteren Szene ist sie wenig begeistert, als sie – ohne es zu wissen – ausgerechnet in Elenas Zimmer eindringt und dieser Raubzug von Elena als Liebesbeweis gewertet wird. Überhaupt zeigt sich Elena sehr anhänglich, sucht stets Körperkontakt und möchte geküsst werden. Die Szene bezieht ihren Witz gerade aus Nielsens Not, den diversen, sehr direkten Annäherungsversuchen zu entgehen, ohne ihre Maskerade auffliegen zu lassen. Dabei spielen Kleidertauschfilme gerne mit dem Klischee, dass Männer dem erotischen Interesse einer (attraktiven) Frau grundsätzlich aufgeschlossen seien und ihre sexuelle Identität durch ein daher nicht plausibles Desinteresse "verdächtig" machen. Die "Verwechslung des Geschlechts" (das meint: eine nicht heterosexuelle Anziehung) versetzt oft mindestens eine der beteiligten Personen in eine peinliche Situation, da sie zum einen nicht das ist, was sie zu sein vorgibt (also entdeckt werden kann), und zum anderen die Rollenzuweisung dieser angenommenen Identität innerhalb der vorgegebenen Inszenierung weder ausfüllen kann noch will. Ossi Oswaldas Fazit aus ihrer Verkleidungsaktion, "Ich möchte kein Mann sein" steht am Ende einer Odyssee durch die Welt des Mannes. Nicht nur muss sie trinken und rauchen wie ein Mann, nein, die Frauen laden außerdem ihre Mäntel bei ihr ab und erwarten, dass Ossi sich schwer bepackt damit zur Garderobe durchschlägt. Die Aufmerksamkeiten der Frauen bei einer Abendveranstaltung werden ihr erst dann unangenehm, als die damit verknüpften Erwartungen ihr Stress bereiten: all das, was ein "Kavalier" tut, soll Ossi nun übernehmen und das wird ihr bald zu viel. Ernst Lubitsch treibt sein ironisches Spiel mit den Geschlechterrollen zielsicher auf die Spitze, indem er Ossi von aufgebrachten Frauen aus der Damentoilette schmeißen lässt, sie jedoch nicht den Mut aufbringt, die Herrentoilette aufzusuchen.3 An den klar definierten Toilettennormen zeigt sich deutlich: Für eine Frau wie Ossi, die Männerkleider und damit auch die Rechte und Pflichten von Männern trägt, gibt es keinen Raum. Ossi trifft an diesem Abend auf ihren Vormund, der ihr als Frau Rauchen und Trinken und allerlei "unweibliches" Gebaren verboten hat. Er erkennt sie nicht, findet den jungen Mann jedoch sehr nett und sie trinken Brüderschaft. In trauter Zweisamkeit aneinandergekuschelt – einen Kuss gibt es auch! – und volltrunken werden sie vom Kutscher schließlich nach Hause gebracht. Die deutlich homosexuelle Komponente dieser innigen Männerfreundschaft löst bei den Beteiligten weder Peinlichkeit noch Fluchttendenzen aus; ganz im Gegenteil verwandelt sich am nächsten Morgen nach unspektakulärer Entdeckung von Ossis "wahrer" Identität die gegenseitige scheinbar gleichgeschlechtliche Zuneigung in eine offenbar gleichberechtigte heterosexuelle Beziehung. Nur wenig später wurde ein Film gedreht, der nicht nur mit homosexuellen Andeutungen jonglierte, sondern Homosexualität in einem ernst gemeinten Drama zum zentralen Thema machte. "Anders als die anderen" Richard Oswald, 1919) zeigt das Schicksal eines schwulen Musikers, der aufgrund seiner Homosexualität erpresst wird und sich schließlich das Leben nimmt. Der Film – mit Magnus Hirschfeld gedreht – nahm Stellung zum § 1754 und forderte dessen Streichung. Lesben waren hier kein Thema, es ist aber anzunehmen, dass der Film bei seiner Uraufführung5 auch von lesbischen Zuschauerinnen gesehen wurde.6 19287 wurde das skandalumwitterte Bühnenstück "Die Büchse der Pandora" (Georg Wilhelm Pabst) von Frank Wedekind8 gleichnamig verfilmt: Lulu verzaubert alle Männer mit ihren Reizen, stürzt sie damit ins Verderben und wird schließlich als Prostituierte ermordet. Die Gräfin Geschwitz ist Lulu außerordentlich zugetan und gilt in ihrer Figurenzeichnung (eine selbstständige Kostümdesignerin, sehr zielstrebig und eindeutig um Lulu werbend) manchen als Prototyp der späteren Filmlesbe.9 Obwohl Pabst die Figur der Geschwitz im Gegensatz zu den Stücken stark zusammen kürzt, wird lesbisches Begehren in den wenigen Szenen sichtbar.10 Einer ihrer ersten Auftritte zeigt sie rauchend, mit Fliege, lässig ans Klavier gelehnt, wie sie Lulu und Alwa mit ernsthaftem Gesicht beobachtet. Später tanzen Gräfin Geschwitz und Lulu auf deren Hochzeit miteinander. Während es für Lulu ein aufreizender Spaß zu sein scheint, wirkt die Gräfin ernst und verletzlich. Schnitte auf die beobachtende Geschwitz illustrieren ihr Begehren, das permanent Lulu im Blick hat. Während den Gästen Erfrischungen gereicht werden, läuft die Gräfin zu Lulu, drückt sie an sich und wendet sich dann hastig ab. Als Lulu wegen Totschlags an ihrem Mann verurteilt wird und fliehen muss, ist es die Gräfin, die ihr ihren Reisepass leiht. Und noch häufiger, wenn Lulu in Bedrängnis kommt, wird es die Geschwitz sein, die ihr aus der Klemme hilft. Skrupellos überredet Lulu sie, sich Rodrigos anzunehmen, mit ihm zu flirten und seinen Annäherungsversuchen nachzugeben, damit er Lulu nicht an die Polizei verrät. Es bietet sich kein anderer Grund an, warum die Gräfin all das auf sich nehmen sollte, außer dem, dass sie Lulu liebt. Der erste Film mit einer expliziten Thematisierung von lesbischem Begehren, "Mädchen in Uniform" (Regie Leontine Sagan, Gesamtleitung Carl Froelich11) von 1931, ist gleichzeitig auch ein internationaler Klassiker, der einen Meilenstein in der deutschen Filmgeschichte darstellt.12 "Mädchen in Uniform" basiert auf dem autobiografisch geprägten Theaterstück "Gestern und heute" von Christa Winsloe.13 Der Film spielt um die Jahrhundertwende und erzählt die Geschichte der jungen Manuela von Meinhardis, die sich in einem gestrengen Mädchenpensionat in die freundliche Lehrerin Fräulein von Bernburg verliebt. Als Manuela nach einer erfolgreichen Theateraufführung leicht beschwipst und lauthals verkündet, sie habe Fräulein von Bernburg lieb, hält die Sitte und Ordnung verkörpernde Oberin dies für einen Skandal und droht entsprechende Maßnahmen an. Die verzweifelte Manuela will sich daraufhin vom Treppenabsatz in die Tiefe stürzen, wird jedoch gerettet. Neben dem verklärenden Weichzeichner zielen zahlreiche Großaufnahmen von Manuelas Gesicht, das jedes Mal voller Anbetung und Hingabe ist, auf ihre emotionale Bindung zu Fräulein von Bernburg. Das einsame Mädchen, das sich erst in die ungewohnte Umgebung einfügen muss, ist besonders offen für die Wärme der freundlichen Lehrerin. Diese nicht zwangsläufig erotische Zuneigung zwischen den beiden Frauen erhält jedoch eine recht schillernde Komponente, wenn die Kamera all die wartenden Mädchen in Manuelas Schlafraum zeigt. An ihren Betten stehend, die Augen geschlossen, den Mund zum erhofften Kuss gespitzt, harren die jungen Frauen des Auftritts der geliebten Lehrerin. "Sie knutscht jede ab – wunderbar!" raunt Manuelas Bettnachbarin ihr begeistert zu. Aber Manuela wird nicht – wie alle anderen – von Fräulein von Bernburg keusch auf die Stirn geküsst, nein, Fräulein von Bernburg nimmt Manuelas Gesicht in beide Hände und küsst sie auf den Mund. Den Gefühlen der Mädchen insbesondere für diese Lehrerin, aber auch füreinander, wird dermaßen viel Raum und Bild zugestanden, dass sich die geneigte Zuschauerin des 21. Jahrhunderts wehmütig fragt, wie wohl die Lesbenfilmgeschichtsschreibung ohne das "Dritte Reich" weiter verlaufen wäre.14 Das brisante Thema preußischer Unbarmherzigkeit, das das zweite Motiv des Stückes ausmacht, wurde von den Nazis genauso wenig begrüßt wie der lesbische Inhalt. Der Film wurde verboten und kam in dieser Zeit nur noch im Ausland zur Aufführung.15 Zwar knüpft "Anna und Elisabeth" (Frank Wysbar) 1933 an den Erfolg von "Mädchen in Uniform" an, aber die Zuneigung der beiden Protagonistinnen lässt sich hier viel leichter auch als platonische Freundschaft lesen. Interessanterweise spielen hier wiederum Hertha Thiele (d. i. Manuela von Meinhardis) und Dorothea Wieck (d. i. Fräulein von Bernburg) miteinander. Anna (Hertha Thiele) steht im Ruf, Wunder bewirken zu können. Die gelähmte Elisabeth (Dorothea Wieck) bittet Anna inbrünstig, ihr so ein Wunder angedeihen zu lassen. Wiederum mit Weichzeichner und Herzschmerz wird die emotionale Intensität zwischen den beiden Frauen in Szene gesetzt, aber diesmal will die unterschwellige Erotik in diesen Bildern nicht so recht greifen. Schwer, zäh und dunkel spiegelt sich das Drama in der düsteren Ausstattung. Annas Liebe und Fürsorge bewirken – natürlich –, dass Elisabeth am Ende wieder laufen kann. Dieser Film, kaum in Italien abgedreht, wurde direkt von den Nazis verboten.16 Im gleichen Jahr entstand "Viktor und Viktoria" von Reinhold Schünzel.17 Aus finanzieller Not tritt Susanne als Mann auf, der sich wiederum im Varieté als Frau ausgibt. Schon bald verliebt sich Viktor/Susanne in Robert, für den sie als Mann ja nicht in Betracht kommt. In diesem Konflikt bleibt ihr zunächst nichts anderes übrig, als ihm in seiner Männlichkeit in nichts nachzustehen. So kommt es in einer Spelunke nach einem sehr flirtigen Blickwechsel zwischen ihr und einer anderen Frau zu einer virtuosen Kneipenschlägerei, da der Begleiter ihrer Flirtpartnerin nicht nur ein Hüne von einem Mann, sondern auch noch völlig humorlos ist. Robert, der längst weiß, dass Viktor eigentlich Susanne heißt (klar, sonst bekäme er ja einen schwulen Touch!), beschützt Viktor, indem er die Keilerei anfängt. Beide wehren sich energisch ihrer Haut, bis alle Anwesenden involviert sind und sie sich mehr oder weniger unbemerkt aus dem Staub machen können. Eine andere wirklich schöne Szene dreht sich indirekt natürlich erneut um Robert. Viktor alias Susanne ist rasend eifersüchtig auf die mondäne Lady Elinor, die ihr Robert wegzuschnappen droht. Dieser Befürchtung will Viktor auf den Grund gehen und verdreht in seinem/ihrem absurd-verzweifelten Gebaren der Dame beinah selbst den Kopf.18 Die folgende nationalsozialistische Herrschaft ermöglichte keine lesbengeschichtlich relevante Filmproduktion und wirkte mit der Ausmerzung solcher nicht linientreuer Darstellungen bis weit in die fünfziger Jahre hinein.
© Ingeborg Boxhammer (Bonn 2005, aktualisiert 1/2006) Zitiervorschlag: |
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