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Rede von Madeleine Marti |
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Dokumentation der Rede von Madeleine Marti, promovierte Literaturwissenschaftlerin, die sie während der Gedenktafeleinweihung für Johanna Moosdorf am 12. Juli 2006 in der Kastanienallee 27 in Berlin-Charlottenburg gehalten hat: Zur Erinnerung an die Schriftstellerin Johanna Moosdorf (12.7.1911 Leipzig - 21.6.2000 Berlin) Vortrag in der Buchhandlung "Der Divan" in Berlin-Charlottenburg am 12. Juli 2006, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel für Johanna Moosdorf |
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Entdeckung Ich habe in Antiquariaten nach weiteren Büchern von Moosdorf gesucht und in der Zentralbibliothek Zürich sämtliche Bücher bestellt (auch aus Ost-Berlin) . Ich war überrascht, welch vielseitige, faszinierende und begabte Autorin ich da kennen lernte. Würdigung Biografie Ausgezeichnet, aber nicht berühmt Gleichwohl ist Johanna Moosdorf nicht allgemein bekannt geworden, auch bei literarisch interessierten ZeitgenossInnen nicht. Dies hat, so vermute ich, vor allem drei Gründe: Die gewählten Themen, die literarische Darstellungsweise und die Verlagspolitik. 1) Die gewählten Themen : Johanna Moosdorf hat tabuisierte Themen literarisch umgesetzt, beziehungsweise unübliche Verbindungen zwischen heiklen Themen hergestellt. In den 50er und 60er Jahren hat sie die "Auseinandersetzung mit (...) der Kontinuität des Faschismus in der Bundesrepublik" verbunden mit "der Position und Perspektive der Frau" und dem "Bereich des Dämonisch-Magischen" (so Regula Venske). Besonders eindrücklich für mich sind hier die Romane "Flucht nach Afrika" (1952) und "Nebenan" (1961). Geschildert wird das alltägliche Leben von Mördern und Opfern des Nationalsozialismus in den 50er Jahren. Später, in den sechziger Jahren, hat Moosdorf Frauengeschichte (archaische Göttinnen, aber auch Hexen-Verfolgung) mit der Liebesbeziehung zweier Frauen im Roman "Die Freundinnen" verbunden (darauf werde ich genauer eingehen). 2) Die literarische Darstellungsweise: In der frühen Prosa, z.B. "Schneesturm in Worotschau", hat Moosdorf sehr realistisch erzählt. Die späteren Texte oszillieren sehr stark zwischen verschiedenen Zeitebenen, zwischen äusserem und innerem Erleben, zwischen Traum und Wirklichkeit. Als LeserIn werde ich da zuweilen irritiert, aus dem Erzählfluss herausgeworfen und muss mich wieder zurechtfinden und auf eine neue Ebene oder Perspektive einlassen. 3) Die Verlagspolitik: Johanna Moosdorf hat bei renommierten Verlagen publiziert, u.a. bei der Büchergilde Gutenberg und dem Suhrkamp Verlag - insgesamt bei 13 Verlagen. Kein Verlag hat jedoch ihr literarisches Schaffen mit einer kontinuierlichen Veröffentlichung ihrer Werke begleitet und unterstützt. Zwei Verlage haben sich dann in den 80er und 90er-Jahren mit Publikationen von Johanna Moosdorf engagiert: In den neunziger Jahren traten dann die beiden jungen Verleger der Achilla-Press auf Moosdorf zu und legten zwei Bücher von Moosdorf in schön gestalteten Ausgaben neu auf, nämlich den Roman "Die Nachtigallen schlagen im Schnee" (Erstveröffentlichung: 1953) und die Erzählung "Die lange Nacht" (1963). Danach publizierten sie die Erzählung "Flucht aus der Zeit" (1997) als Erstausgabe. Im "Verzeichnis lieferbarer Bücher" aufgeführt sind heute: Persönlicher Einstieg So schickte ich vor 20 Jahren meinen ersten Brief an Johanna Moosdorf in die Kastanienallee 27 und gratulierte ihr zum 75. Geburtstag. Darin kündigte ich einen Artikel über ihren Roman "Die Freundinnen" an und erwähnte meine Idee zu einer Doktorarbeit zur literarischen Darstellung von Lesben, die damals erst in meinen Träumen schwebte. Johanna Moosdorf antwortete mit einer Karte: Später schickte sie mir vier Gedichte, von welcher zwei in der Zeitschrift "Frau Ohne Herz" in Zürich veröffentlicht wurden. Es ist das drittletzte Gedicht im Band "Fahr hinaus ins Nachtmeer". Traum Auf verwunschenen Pfaden Ich klage laut Kreischend Zum Vortrag Die Freundinnen Es ist die Liebesgeschichte zwischen Stefanie und Irina. Stefanie arbeitet als Büroangestellte, ist geschieden und Mutter eines halbwüchsigen Sohnes (der jedoch beim Vater lebt). Irina übt keinen Beruf aus, streunt herum und heiratet später den Antiquar Kross, und geht schliesslich mit Stefanies Exfreund Peter weg. Doch Stefanie ist überzeugt, dass Irina wieder zu ihr zurückkommen wird. Verlagspolitik "Djuna Barnes "Nachtgewächs" sei einfürallemal der gültige Massstab für eine Schilderung weiblicher Liebespaare, und diesem Massstag genüge mein Buch nicht. (...) "(Brief an Madeleine Marti, 15.11.1986) Moosdorf kommentierte dazu: Vergleicht man die literarische Qualität der beiden Bücher von Moosdorf, welche bei Suhrkamp publiziert wurden, mit "Die Freundinnen", so bewegen sich diese zweifellos auf demselben Niveau. Die Ablehnung von Unseld zeigt, dass die positive, selbstverständliche Darstellung einer lesbischen Liebesbeziehung von Johanna Moosdorf für den Suhrkamp Verlag 1970 zu früh kam. Über zehn Jahre später publizierte Suhrkamp beispielsweise die autobiografischen Aufzeichnungen "Sonja. Eine Melancholie für Fortgeschrittene" von Judith Offenbach (1983), indem die lesbische Liebesgeschichte von Selbstmord, Alkoholismus und Körperbehinderung überschattet ist. Thema Danach war die Zeit auch reif für die Publikation von Moosdorfs "Die Freundinnen". Der katholische Nymphenburger Verlag aus München brachte das Buch 1977 heraus. Offenbar wurde es aber nur kurze Zeit und in kleiner Auflage verkauft, denn bereits 1980 war es bei meiner Suche nicht mehr erhältlich. Erst zehn Jahre später (1987) wurde es in der Frauen-Reihe des Fischer Taschenbuchs neu herausgegeben und verkaufte sich nun - 17 Jahre nach Vollendung des Manuskripts - "wie frische Weggli". Heute ist die 7. Auflage von 1994 im Handel erhältlich. Darstellungsweise Johanna Moosdorf verbindet in "Die Freundinnen" die lesbische Liebe mit der Suche nach Spuren von lesbischen Frauen in der Geschichte und mit Visionen für die Zukunft. Diese Erweiterung der zeitlichen Dimension über die Gegenwart hinaus stellt sie mit Gesprächen von Stefanie, Irina und der befreundeten Wissenschaftlerin Lene Andras dar. Sie diskutieren miteinander über die massenhafte Vernichtung von Frauen als "Hexen" sowie die Spuren der matriarchalen Kultur mit den Göttinnen und den Frauenpaaren. Zuweilen fliessen Gegenwart, Verfolgungsgeschichte, matriarchale Urgeschichte und Utopie ineinander, so beispielsweise am Schluss des ersten Kapitels. Verbunden mit diesen Wechseln der Zeitebenen sind auch starke emotionale Wechsel, so hier z. B. zwischen erotischem Knistern zwischen den beiden Frauen und der Gewalt von Männern an Frauen: "Ich beobachte sie gespannt. Schweigend, die Hände unter dem Kopf verschränkt, liegt sie auf dem Bett und bedrängt mich, greift mich an mit der Einfalt ihrer Stirn. Ich habe noch nie eine so weisse Stirn gesehen. Ich weiss, es bedeutet nichts, hinter dem Glanz einer Stirn kann sich Krauses verbergen, Wirrnis, eine konfuse Welt. Aber ich fühle ihr Fluidum, ihren herben Irina Geschmack. Ich bin voll einer grossen Hoffnung. Wir werden frei sein, ganz neu werden wir sein. Die Masken werden von uns abfallen. Unsere verborgene Schönheit wird hervorbrechen, unsere Kraft, die aus der Tiefe stammt. Ich spüre die Tiefe unter unseren Füssen. Wir bewegen uns über ihr, lärmend in blinder Überheblichkeit. Der Gedanke verfolgt mich bis tief in den Schlaf. Ich möchte ihn zu Ende träumen, aber da ist wieder die versunkene, die in der Zeit, in der Vergangenheit versunkene Stadt mit ihrem Blut- und Foltergeruch, ihrem Kuttengemurmel und scharlachroten Ornatsgepränge, ihrer Beterinbrunst, ihrer Furcht vor Pestilenz und Brandschatzung, ihren Markt- und Hinrichtungsfesten, dem Lauern in Winkeln, dem Huschen von Haus zu Haus, dem hämischen Flüstern und Hecheln hinter erhobener Hand. Irina streift mit einer feierlichen Gebärde ihr Hemd von der Schulter. Sie wendet mir ihren Rücken zu, ihren schmalen, glatten Rücken mit dem Mal auf dem linken Schulterblatt: einer bräunlichen Hautwucherung, die manchmal rötlich schimmert. Jetzt. Ich küsse sie sanft." (67/68) Daneben wird auch immer wieder der Arbeitsalltag von Stefanie im Büro geschildert, wo die Mitarbeitenden zwar freundlich sind, doch Lesbischsein tabuisiert wird und Stefanie sich deshalb immer etwas gefährdet fühlt. Die Schilderung der Atmosphäre und der Mitarbeitenden sind sehr präzis, die Übergänge der Erzählebenen jedoch anspruchsvoll für die Leserin. Johanna Moosdorf hat diesem Roman ursprünglich den Titel "Sappho" gegeben und damit ein deutliches Signal gesetzt, dass lesbische Liebe ein zentrales Thema ist. "Die Freundinnen" dagegen ist ein versteckt lesbischer Code, der in der Weimarer Republik innerhalb der lesbischen Subkultur eindeutig lesbische Bedeutung trug. (Fast den gleichen Titel, nämlich "Freundinnen" trug Caroline Muhrs Roman (1974)) Am Schluss dieses Romans verlässt die Geliebte ihre Freundin wegen eines Mannes und das letzte Kapitel ist als Epilog (also als Nachspiel) konzipiert. Darin erfährt Irinas Ehemann Kross eine wunderbare Wandlung und begreift die Liebe zwischen Irina und Stefanie. Dass der Mann die Frauen versteht, folgt nicht schlüssig aus dem Roman, doch das utopische Schlussbild, welches sein inneres Bild der liebenden Frauen zeigt, war Moosdorf sehr wichtig: "Da ist auch wieder das Bild, das ihn nun nicht mehr loslässt: Umschlungen, die Köpfe einander zugeneigt, fest aneinander gelehnt, die äusseren Arme unter den Brüsten ineinander verschränkt, gehen sie in ihren hellen Kleidern langsam die Landstrasse entlang und dann den Weg zum Fluss hinunter durch den sommerlichen Wald, in dem der Tag verdämmert." (297) Jahrhundertträume Es ist die Liebesgeschichte von Jenny mit dem jüdischen Intellektuellen Karl, den sie anfangs der dreissiger Jahre in Berlin kennen lernt. Die Rollenteilung ist zunächst unkonventionell. Sie heiraten, 1935 und 1938 werden ihre Wunschkinder geboren. Später lassen sie sich scheiden, damit zumindest Jenny Arbeit finden und für die Kinder und sich selbst sorgen kann. Zu Kriegsbeginn werden die Grenzen geschlossen, Karl kann nicht mehr emigrieren. Er wird in Auschwitz ermordet. Jenny überlebt mit den Kindern und zusammen mit ihrer Freundin Thilde. Dann geht Jenny mit den Kindern nach Berlin. Jenny erzählt in der Gegenwart der achtziger Jahre und erinnert sich an ihre Vergangenheit und ihre beiden grossen Geliebten, Karl und Thilde, die für sie gegenwärtig sind. "Das Schreckliche lässt sich nicht wirklich mitteilen" stellt Jenny resigniert fest, doch Johanna Moosdorf hat sich auch diesem Thema gestellt und die Geschichte geschrieben, die sie nicht schreiben wollte, aber schreiben musste. Und sie hat dieses Buch beendet, obwohl sie seit Ende 1987 grosse Schwierigkeiten mit ihren Augen hatte und nur noch mit grosser Mühe lesen konnte. Für mich ist dieser Roman besonders interessant, weil darin genau geschildert wird, wie die nationalsozialistische Herrschaft im Alltag dieser Familie Gewalt ausgeübt hat, und schliesslich Karl ermordet hat. Und wie Jenny überlebt, weiter lebt und weiter schreibt. Gedichte Die beiden Gedichte habe ich gemeinsam mit Josefine Ulmi ausgewählt - Sie ist die Mutter meiner Freundin, wird heute 85 Jahre alt, hat selbst viele Gedichte geschrieben und war spontan von Moosdorfs Gedichten begeistert. Klaglos Im Geröll der Moräne Fische schnappen nach mir Ringsum Wellengekicher Das letzte Gedicht, das ich vorlese, zeigt Johanna Moosdorfs grosse Hoffnung auf ein menschenwürdiges Zusammenleben. Eine Hoffnung, die sie sich bewahrt hat und für die sie gekämpft hat, entgegen all dem Leid, das sie persönlich erlebt hat. Trauernd hüte ich Unaufhaltsam aber der Tag Trauernd hüte ich dann
© Madeleine Marti (Zürich 2006) Bücher von Johanna Moosdorf Romane Erzählungen Gedichtbände Literatur * Marti, Madeleine: Hinterlegte Botschaften. Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. J.B. Metzler, Stuttgart 1992, S. 146-177 * Johanna Moosdorf. In: Alexandra Busch; Dirck Linck (Hg.): Frauenliebe. Männerliebe. Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts. J.B. Metzler, Stuttgart 1997, S. 296-299 |