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Selli (Selma) Engler (1899-1982)


Selli Engler war in der Zeit von 1924 bis 1931 eine der aktivsten Frauen in der homosexuellen Subkultur.1 Sie arbeitete an verschiedenen Zeitschriften mit, veröffentlichte eine große Menge an literarischen Beiträgen2 und gründete und leitete verschiedene Damenklubs. Sie war Herausgeberin und Redakteurin der Zeitschrift BIF, Blätter Idealer Frauenfreundschaft (1924 bis vermutlich 1927)3 und Leiterin des „Damen-BIF-Klubs“, von dem nicht bekannt ist, wie lange er existierte.


Die Blätter Idealer Frauenfreundschaft waren ein ehrgeiziges Projekt. Im Selbstverlag versuchte Selli Engler eine Alternative zu den großen Zeitschriften zu schaffen, in denen ihrer Meinung nach das Niveau nicht allzu hoch war. Die BIF dagegen sollten das Organ der homosexuellen Frauen sein, die ein entsprechendes Niveau für sich ersehnten. Über den Erfolg dieses Unternehmens lässt sich heute nichts mehr sagen. Durch die unabhängige Herausgabe fiel diese Publikation durch die archivarischen Dokumentationsbestimmungen. Die Quellenlage ist entsprechend schlecht, so dass es auch nicht möglich ist, das Datum der Einstellung der BIF festzulegen. Vermutlich war es das Jahr 1927, unter anderem da Selli Engler seitdem in der Zeitschrift Frauenliebe veröffentlichte.


Bis zum Herbst 1929 war Selli Engler Mitarbeiterin der Frauenliebe, ab September 1929 bis 1931 Mitarbeiterin der Freundin. Ihren Wechsel kommentierte sie in der Freundin: „Da sich nun im Verlag der ,Frauenliebe‘ viele Mißverständnisse breit machen, die sich mit meinen Anschauungen nicht decken, habe ich mich von dort in aller Güte und Freundlichkeit verabschiedet und stelle nun ausschließlich Herrn Radszuweit (...) meine Mitarbeit zur Verfügung.“4 Nach 1931 wurde ihr Name in der Freundin nicht mehr erwähnt. Über die Gründe, die dazu führten, ist nichts bekannt.


Am 28. 09. 1929 eröffnete Selli Engler den Damenklub „Erato“.5 „Der Muse ,Eräto’, die den Liebenden Glück bringt, ist der Klub geweiht.“6 Der Klub bezog zuerst die zweite Etage in der Zauberflöte in der Kommandantenstraße 72.7


Auffällig ist ihr Engagement hinsichtlich der Organisation homosexueller Frauen im BFM. Sie veröffentlichte Aufrufe und Appelle, welche die homosexuellen Frauen animieren sollten, dem BFM beizutreten. In der Zeit ihrer Mitarbeit veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten, Gedichte und Fortsetzungsromane. In der Frauenliebe 1929 erschien ein Gedicht mit dem Titel „Fräulein Selli Engler gewidmet“.8 Dieses Gedicht ist eine anonyme Erwiderung auf Selli Englers Gedicht „Melancholie“9. Ihr autobiografischer Roman „Das Leben ist nur noch im Rausch zu ertragen“ erschien 1929 als Beilage der Frauenliebe10, 1930 dann ihr Freundschaftsroman „Arme kleine Jett“ als Fortsetzung in der Freundin11. Das Buch widmete Selli Engler Friedrich Radszuweit, „dem großen Menschen, der durch unzählige stille Opfer den andersgearteten Menschen Publikationsorgane schuf, durch deren Rede der blinden Masse über die stets verkannte und zu Unrecht geschmähte Schar der Homosexuellen, die Augen und die Herzen aufgehen mögen“.12


1929 tauchten Anzeigen in der Frauenliebe auf, in denen für die „Engler-Schüttel-Massage“ geworben wird. Die Behandlung sollte in einem Massageraum in Berlin stattfinden.13 Später hieß es in der Anzeige „Diät und Massage, wird in einem Ostseebad ausgeführt“.14 Inwieweit diese Dienstleistungen unter finanziellen Gesichtspunkten erfolgreich waren, ist unbekannt. Vermutlich war es eher ein Versuch, denn wenig später gab es diese Anzeigen nicht mehr.


Selli Engler wird häufig in männlich anmutender Kleidung abgebildet und als virile homosexuelle Frau beschrieben.15 Bei Selli Engler fällt auf, dass sie ausgesprochen stark an einer Organisation homosexueller Frauen interessiert war, dabei stilisierte sie zuerst Carl Bergmann16 und später Friedrich Radszuweit17 in einer Art zum Führer, wie es keine der anderen Autorinnen oder Redakteurinnen in den Zeitschriften tat.


1933 verfasste sie ein Theaterstück mit dem Titel „Heil Hitler“, das sie Hitler persönlich zuschickte. Im September 1938 stellte Engler einen Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer. Dank dieses Antrages sind einige biografische Angaben erhalten. Geboren wurde sie am 28. 09. 1899, gestorben ist sie 1982 in Ost-Berlin. Engler wuchs in ärmlichen Verhältnissen mit 11 Geschwistern auf. Der Vater war Pantoffelfabrikant. Nach dem Tod des Vaters 1914 kam sie mit der Mutter nach Berlin, mit der sie 1938 noch zusammenlebte. Als Beruf gab sie Verkäuferin an.18




Heike Schader (2004)



Aus: Schader, Heike: Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre. Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2004.





1 Ein Bild von Selli Engler befindet sich im Anhang.


2 In der Zeit von 1928 - 1931 sind von ihr über 65 Beiträge in der Frauenliebe und der Freundin erschienen.


3 Von der BIF sind die Hefte 1924 Nr. 1 und 1926 Nr. 2 erhalten. Es war ein monatliches Erscheinen geplant. Kontaktadresse schien die Privatadresse von Selli Engler zu sein.


4 Freundin 1929, Nr. 12. Vermutlich steht ihr Wechsel in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Kati Reinhard und den Damenklub „Monbijou“.


5 Ab Mai 1931 wird der Klub in der Freundin nicht mehr erwähnt. In: Katharina Vogel: Zum Selbstverständnis lesbischer Frauen in der Weimarer Republik. S. 165. Für den Klub sind beide Schreibweisen Eräto und Erato möglich.


6 Selli Engler: Eräto. Freundin 1929, Nr. 15.


7 Mehr Informationen zum Damenklub Erato: Jens Dobler: Von anderen Ufern. S. 107 - 108.


8 O. A.: Fräulein Selli Engler gewidmet. Frauenliebe 1929, Nr. 7.


9 Selli Engler: Melancholie. Frauenliebe 1929, Nr. 3.


10 Erste Folge in der Frauenliebe 1929, Nr. 29. Hanna Hacker führt den Roman mit der bibliografischen Angabe, Berlin,1929, in ihrer Literaturliste auf. Ich gehe davon aus, dass sich diese Angabe ebenfalls auf die Veröffentlichung als Beilage bezieht. Hanna Hacker: Frauen und Freundinnen, S. 306. Da die Romanbeilagen nicht mit archiviert wurden, fehlt der Roman heute in dieser Form.


11 Selli Engler: Arme kleine Jett. Freundin 1930, Nr. 34–50.


12 Ebd. Freundin 1930, Nr. 34.


13 „Schlankheits-, Gesundungs- und Verjüngungs-Massage ausgeführt von Selli Engler. Ganze Behandlung: Vierteljahr 300 MK. Einzelbehandlung: 10 Mark. Sprechzeiten von 10 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags. Vor und nach dieser Zeit in und außer dem Hause, jedoch nach vorheriger Vereinbarung. Der Massageraum befindet sich Berlin-Charlottenburg 4, Pestalozzistr. 78. Aufg. 1, vorn 1 Tr.“ In: Frauenliebe 1929, Nr. 2.


14 Frauenliebe 1929, Nr. 27.


15 Z. B. von Franz Scott, S. 40.


16 Selli Engler: Das erste Stiftungsfest. Frauenliebe 1929, Nr. 37.


17 Selli Engler: Viele Stimmen und ein Ziel. Freundin 1930, Nr. 21.


18 Claudia Schoppmann: Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität. Pfaffenweiler 1991. S. 172.