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Bertha/Berthold (Emma Charlotte) Buttgereit (1891 – 1983)* |
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Das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts in der Öffentlichkeit war damals zwar – von Ausnahmen wie lokalen Erlassen abgesehen – nicht prinzipiell verboten. Die Polizei hatte jedoch zumindest gegen groben Unfug und Erregung öffentlichen Ärgernisses eine Möglichkeit einzuschreiten. |
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Um zu verhindern, dass Transvestiten so in die Mühlen von Polizei, Justiz und Presse gerieten, hatte es Magnus Hirschfeld (1868-1935) erreicht, dass Transvestiten eine behördliche Genehmigung zum Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts erhielten. Weil dies jedoch gesetzlich nicht grundsätzlich verboten war, konnte auch keine Erlaubnis – wie derartige Schreiben irrtümlich genannt wurden – ausgestellt werden. Transvestiten wurde deshalb zunächst lediglich die polizeiliche Zurkenntnisnahme ihrer Neigung auf der Grundlage ärztlicher Gutachten schriftlich bestätigt. Es ist allerdings zu vermuten, dass ein solches von der Polizei ausgestelltes Schreiben (Transvestitenschein) Transvestiten bereits vor der Einleitung juristischer Schritteschützen konnte, auch wenn es neben einer juristischen Belehrung nur den Hinweis einschloss, dass das Tragen der erwünschten Kleidung nicht ausdrücklich untersagt war.1 Im Landesarchiv Berlin2 ist eine Akte über eine Kölnerin verwahrt, die einen Einblick in die spannende Biographie dieserFrau bietet. Sie erreichte es durch ein Gutachten, Männerkleidung tragen zu dürfen, und scheute keine behördlichen Auseinandersetzungen, um den Vornamen amtlich ändern zu lassen und ihre langjährige Lebenspartnerin heiraten zu dürfen. Bertha (Emma Charlotte) Buttgereit wurde am 23. Februar 1891 in Berlin geboren.Nach der Volksschule besuchte sie eine Handelsschule und übte später eine kaufmännische Tätigkeit aus. Einem Gutachten zufolge war Buttgereit schon als Kind energisch und zielbewusst und benahm sich wie ein Junge. »Sie jagte die Mädchen fort, die mit ihr spielen wollten, hatte nur Interesse für die Spiele der Knaben und äußerte schon den Wunsch, Hosen zu tragen.« Über die Eltern sind kaum Einzelheiten bekannt. Nach einem medizinischen Gutachten war der Vater Alkoholiker und starb durch Suizid. Die Mutter »wurde geisteskrank und starb in der Irrenanstalt Dalldorf«. Die einzige Schwester »trägt sich mit Grübeleien und fürchtet, sie könnte ebenso werden wie die Mutter.«3 Der Transvestitenschein 1912 – also im Alter von 21 Jahren – erhielt Buttgereit aufgrund eines Gutachtens von Magnus Hirschfeld und Ernst Burchard einen Transvestitenschein und vom Kölner Polizeipräsidium 1918 zusätzlich einenTransvestiten-Reisepass.4 Im Zusammenhang mit dieser Genehmigung wechselte Buttgereit den Wohnort –offensichtlich von Berlin nach Köln. Vermutlich wollte sie sich mit dieser Erlaubnis in einer anderen Stadt ein neues Leben aufbauen.5 Mittels dieser Bescheinigung konnte Buttgereit ab 1912 in der Öffentlichkeit ganz als Mann leben. 1919 betonte Buttgereit: »Niemals bin ich während dieser 7 Jahre in irgendwelche Konflikte in meiner beruflichen Stellung, in der Öffentlichkeit oder in meinem Privatleben geraten.« Die Vornamensänderung Um als Person des anderen Geschlechts wahrgenommen und akzeptiert zu werden, versuchten viele Transvestiten, in amtlichen Dokumenten den Vornamen ändern zu lassen. Gesetzliche Grundlagen dafür gab es erst in der Weimarer Republik. Vor allem weibliche Transvestiten und Männer, die sich einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzogen hatten, nutzten diese rechtliche Möglichkeit.6 Zur Beantragung der Vornamensänderung holte Buttgereit von Ernst Burchard (1876-1920)7 und F. Lehmann neuerliche Gutachten ein und stellte am 22. August 1919 einen entsprechenden Antrag, also sogar noch kurz bevor durch entsprechende Regelungen eine Vornamensänderung überhaupt möglich wurde. Dass dieser Antrag von Berlin aus gestellt wurde, kann damit zusammenhängen, dass sich Buttgereit mit Hilfe des WhK (Wissenschaftlich humanitäres Komitee) bessere Chancen als von Köln aus erhoffte.In den Gutachten wurde darauf hingewiesen, dass sich die »sinnlichen Strebungen« Buttgereits nur auf Frauen richteten. Weder Buttgereit selbst noch die Ärzte vertraten jedoch die Meinung, dass hier eine Buttgereit, links in Männer- und rechts in Frauenkleidung gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung vorliege [Abbildungen nicht übernommen], sondern die Gutachten betonten, dass ein männliches Streben und männliches Empfinden gegenüber einer anderen Frau vorlägen und dass sich Buttgereit weder als Frau fühle noch sich als solche betätige. Möglicherweise hatte eine solche Argumentationsweise bei Behörden mehr Aussicht auf Erfolg. Buttgereit sah die Vornamensänderung als Voraussetzung für eine Heirat mit ihrer Lebenspartnerin und betonte, dass der Heiratswunsch von den Verwandten beider Seiten geteilt werde. Ob die Angehörigen ihrer Partnerin sich über Buttgereits biologisches Geschlecht im Klaren waren, ist unbekannt. Ein Jahr später – im September 1920 – war der Antrag auf Vornamensänderung immer noch in Bearbeitung. Buttgereit reichte nun zur Beschleunigung des Verfahrens den in Köln auf den Namen »Berth.Buttgereit« ausgestellten Transvestiten-Reisepass nach. Der Antrag wurde nun endlich genehmigt und der Beschluss wurde mit der Verkündigung am 8.November 1920 im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger rechtswirksam. Wie jede genehmigte Namensänderung musste auch diese Anzeige (bis 1923) auf Kosten des Antragstellers hier veröffentlicht werden. Mit der Veröffentlichung wurden Transvestiten wie Buttgereit amtlich geoutet – incl. Geburtsdatum und postalischer Adresse. Noch am gleichen Tage bedankte sich Buttgereit beim Amtsgericht Berlin-Mitte für die Genehmigung.8 Die Heirat der Freundin Wie angekündigt, wollte Buttgereit nun im Anschluss an die Namensänderung die (namentlich nichtgenannte) Freundin heiraten. In einem Gutachten wurde darauf verwiesen, dass beide bereits seit acht Jahrenzusammenlebten und dass diese lange »Probezeit« als Garantie für »Stetigkeit und Harmonie« in der Ehe angesehen werden könne.9 Als sich das Standesamt nach Vorlage der Geburtsurkunde weigerte, die Anmeldung zur Trauung anzunehmen, wandte sich Buttgereit nochmals, nun mit der Bitte um Änderung der Geburtsurkunde, an das Amtsgericht Berlin-Mitte: »Wenn wir nicht getraut würden und alsdann eine sogenannte wilde Ehe eingehen, hätte dies ein moralisch niederdrückendes Zusammenleben zur Folge.«10 Über den Ausgang des Verfahrens, in dem sich Buttgereit von dem (dem WhK nahestehenden) Berliner Rechtsanwalt Walther Niemann11 vertreten ließ, finden sich in den Akten keine Unterlagen.Magnus Hirschfeld veröffentlichte die beiden oben abgebildeten Fotos von Buttgereit, eines in Frauen- undeines in Männerkleidung, in einem Abschnitt »Totale Transvestiten«12 in seiner Geschlechtskunde (1930),ohne Buttgereits Namen zu nennen. Dass sich der Transvestitismus im Fall Buttgereit auf die gesamtesoziale Geschlechterrolle bezog, ist dabei typisch für die von Hirschfeld begutachteten Fälle. Das linke Bild sollte dabei offensichtlich Hirschfelds emanzipatorische These bekräftigen, wonach Transvestiten in der Öffentlichkeit nicht auffielen. Rechts wurde die Weiblichkeit nicht nur durch Kleidung und Schmuck, sondern auch durch Blumen inszeniert. Außer den Informationen aus dem Landesarchiv Berlin und der Veröffentlichung von Magnus Hirschfeld sind über Buttgereit keine persönlichen Angaben bekannt. In den Kölner Adressbüchern wird der Name von1920 bis 1983/84 fast durchgängig mit »Berthold« Buttgereit angegeben. Den dort angegebenen Berufsbezeichnungen zufolge konnte sich Buttgereit vom »Buchhalter« (1920-1925) über »Buchvorsteher«(1926–1942) bis zum »Büroleiter« (1950-1957) in einer nicht genannten Firma hocharbeiten. Dies kann als Indiz gesehen werden, dass Buttgereits biologisches Geschlecht auch in diesen Jahren zumindest im beruflichen Arbeitsumfeld nicht auffiel. Dass Buttgereit den Nationalsozialismus offensichtlich unbeschadet überstand, ist bemerkenswert, da beim Polizeipräsidium Köln die Angaben über Buttgereits biologisches Geschlecht bekannt waren. Ab 1958 (d.h. ungefähr ab dem 67. Lebensjahr) wird Buttgereit in den Kölner Telefonbüchern als »Pensionär« bezeichnet. In den letzten Lebensjahren wohnte Buttgereit über 90-jährig in der Lützowstraße 23.13
© Erwin In het Panhuis (Köln 2006) Auszug aus: Erwin In het Panhuis: Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895-1918. Hrsg. vom Centrum Schwule Geschichte. Emons: Köln 2006 (CD-ROM-Version). Zitiervorschlag: |