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Der Name Susi oder auch Susu Wanowsky muss in der Berliner Subkultur der Weimarer Republik und auch darüber hinaus einschlägig bekannt gewesen sein: Susi Wanowski war Anfang der 1920er Jahre eine Zeitlang die Geliebte der skandalumwitterten und legendären Tänzerin Anita Berber (1899-1928). Dies dürfte ihr entsprechende Aufmerksamkeit eingebracht haben. Später, 1931/32, betrieb Wanowski in Berlin-Schöneberg zwei Lesbenbars.
Wer war Hanna Wan...?
Susi Wanowski und Anita Berber
Die Stars der Zeit trafen sich mitunter auch in den gut besuchten lesbischen Nachtklubs. Die damals schon berühmte Kabarettistin und Chansonsängerin Claire Waldoff berichtet: "Zwischendurch erschienen, mit großem Hallo begrüßt, die Koryphäen der damaligen Zeit. (…) die hinreißende Tänzerin Anita Berber und Celly de Rheydt und die schöne Susu Wannowsky [sic] und ihre Korona. Jeden Montag stieg diese ‚Pyramide' in der Schwerinstraße um neun Uhr abends; es war das typische Berliner Nachtleben mit seiner Sünde und seiner Buntheit."16 Der "Topp", wie der Toppkeller mit seinem gemischten Publikum von Eingeweihten oft nur kurz genannt wurde, lag in der Berliner Schwerinstraße 13. Hier oder anderenorts in derselben Straße traf sich montags abends um neun Uhr der Lotterieverein "Die Pyramide", dem ältere Damen vorstanden. Es war eine "sehr gemischte Gesellschaft", wie Claire Waldoff fand, die dort u. a. die Schauspielerin Gertrud Eysoldt (1870-1955), die Tänzerin Anita Berber (1899-1928) und die mit ihr Anfang der zwanziger Jahre liierte Sängerin Susi Wanowski traf.17
Auch Celly de Rheidt (d. i. Anna Cäcilie Marie Funk, 1889-1969) sorgte als skandalöse Nackttänzerin für Schlagzeilen: 1922 soll sie in Leipzig einen lesbischen Vampirtanz aufgeführt haben.18 Die "schöne Susi" Die Bezeichnung "schwarze Susi" – später auch: die "schöne Susi" – könnte sich auf eine Theater- oder Filmrolle beziehen, die Hanna Busch als Schauspielerin bekleidet hatte und mit der sie über die Berliner und/oder Wiener Stadtgrenzen hinaus berühmt geworden war. Spätestens Ende der 1920er Jahre spielte Hanna Busch eine maßgebliche Rolle in der lesbischen Bar- und Klubszene Berlins. Durch eine Anzeige in der "Freundin" wissen wir, dass sie Anfang 1931 unter dem Namen Susi Wanowsky für eine Bar als Treffpunkt warb, den sie "La Garçonne" nannte.22 Die Bar befand sich in der Kalckreuthstraße 11, also in dem Gebäude, wo seit Anfang 1930 auch eines der beiden "Eldorados" in Schöneberg angesiedelt war. "La Garçonne" – als weibliche Form von garçon (Junge/Jüngling) – ist ein französischer (und neologistischer, also neu geprägter) Ausdruck für lesbische Frauen und meint in etwa eine Junggesellin. Der französische Schriftsteller Victor Margueritte (1866-1942) hatte 1922 mit seinem gleichnamigen Roman Aufsehen erregt23: Der Roman erzählt von einer jungen Frau, die sich von konventionellen Rollenzwängen und Beziehungsmustern abwendet und ein selbstbestimmtes Leben lebt.24 An dem Romantitel "La Garçonne" orientierte sich nicht nur Hanna Busch alias Susi Wannowski zur Benennung ihres Treffpunktes, sondern auch eine neue Lesbenzeitschrift dieses Namens machte in Berlin ab Herbst 1930 die Runde.25 Viel mehr, als dass Busch/Wannowski die Bar eröffnete, lässt sich in den Lesbenzeitschriften leider nicht weiterverfolgen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Hanna Busch offenbar spätestens 1932 in einen groß angelegten Kokainhandel verwickelt war, der eines ihrer Etablissements – hier: die Bar "Ariane" in der Schöneberger Keithstraße (auch ein Subkulturlokal) – als Kontaktbörse nutzte.26 Scheinbar – so berichten es in einer jeweils allein stehenden Meldung mehrere Zeitungen parallel – hatte eine Person aus Minsk namens Harald Rodstein (oder ähnlich) die "Ariane-Bar" in der Keithstraße als Vermittlungsstelle für potenzielle Kundschaft eingesetzt. In einer nahegelegenen Pension sollte er ein "Geheimtelephon" installiert haben, mit dem er aus der Bar Bestellungen entgegennahm – entweder durch die Bestellenden selbst oder durch Hanna Busch. Deshalb sei sie als Geschäftsführerin auch verhaftet worden.27 Zu dem Zeitpunkt, 1942, war Hanna Wannowski 56 Jahre alt. Die in der Akte angegebene Adresse (Bayerischestr. 23) ist ein Eckhaus und war daher vermutlich identisch mit der Zähringerstraße 13 in Berlin-Wilmersdorf, wo Lucie Berber, die Mutter von Anita Berber wohnte und wo Wannowski spätestens seit dem 15. Juli 1951 wieder gemeldet war.37 Lucie Berber überlebte die Geliebte ihrer Tochter um zwei Jahre: Hanna Wannowski starb im Alter von nur 65 Jahren am 28. Oktober 1952 auf einem Transport ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus.38
Eine Wanowski in Wolfgang Koeppens "Treibhaus" Der Name "Susi Wanowski" spukte über ihren Tod hinaus in vielen Köpfen herum. Für manchen Ehemann schien er der Inbegriff von lesbischer Bedrohung zu sein: Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (1906-1996), ein bedeutender Autor der Nachkriegsliteratur, vermischte reale Ereignisse und den Namen "Wanowski" mit seiner erfundenen Handlung im Buch "Das Treibhaus". In dem 1953 erschienenen Roman kehrt die Hauptfigur, der Journalist Felix Keetenheuve, 1945 aus dem Exil nach Deutschland zurück und wird in Bonn Bundestagsabgeordneter der SPD. Er scheitert jedoch nicht nur am Staatsapparat und dem damit verbundenen Treibhausklima, sondern er verzweifelt auch über den Suizid seiner sehr jungen Ehefrau, die neben einem Alkoholproblem auch eine Geliebte hatte. Der Roman endet damit, dass auch Keetenheuve sich das Leben nimmt. Auffällig ist, dass Koeppen im Roman eine lesbische Frau, die er abfällig und diffamierend beschreibt, "Wanowski" nennt und mit Schlüsselwörtern aus der Subkultur der Weimarer Republik verbindet: So sitzt "die Wanowski" in einer Bar, die mit dem Namen ‚Skorpion' sicher an den 1919 veröffentlichten Lesbenroman "Der Skorpion" von Anna Elisabet Weirauch (1887-1970) erinnern soll. Zudem raucht "die Wanowski" Zigarre – ein stereotypisiertes Utensil vermeintlich maskuliner (lesbischer) Frauen.39 Koeppen diffamiert sie in seiner literarischen Beschreibung, die möglicherweise nicht nur auf die fiktive Figur, sondern auch auf die reale Hanna Wannowski gemünzt war. Dabei schreckt er vor keinem Klischee zurück, mit dem er "Wanowski" herabsetzen kann: "Sie trug einen Männeranzug, den Anzug eines dicken Mannes, stramm wölbte sich das Gesäß, die überhöhten, mit Watte gepolsterten Schultern waren ein Gleichnis des Penisneides, lächerlich und furchtbar zugleich, und zwischen den schwellenden Lippen unter dem mit Kork abgebrannten Bartflaum kaute sie am häßlichen zerknatschten Stummel einer bitteren Zigarre."40 In der Diktion von Keetenheuve bezeichnet Koeppen sie außerdem als Oger41 und fantasiert dabei zudem genüsslich, wie er sie ermordet. Es ist kaum erträglich, diese Beschreibung zu lesen.
Zitiervorschlag:
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1 Landesarchiv Berlin (LAB) A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 5. Zu Lotte Hahm: Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1/2021, S. 91-108. Online: https://doi.org/10.3224/gender.v13i1.07. 2 LAB A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 5. 3 Einwohnermeldekartei B. Rep.021/Datenbank, LAB vom 31.10.2018. 4 Geburtsurkunde Nr. 185/1886. Für den Eintrag in der Berliner Meldekarte gab Hanna Busch das Geburtsjahr 1890 an – offenbar ohne Vorlage der Geburtsurkunde. Diese Angabe war auch die Grundlage für den Eintrag 1890 als Geburtsjahr in ihre Sterbeurkunde. Da die Geburtsurkunde als Vordruck genutzt wurde, der die ersten drei Ziffern des Geburtsjahres vorgab ("188..."), ist dort ein derartiges Verschreiben beim Eintrag nicht möglich. Einwohnermeldekartei B. Rep.021/Datenbank, LAB vom 31.10.2018. 5 Hanna ist in der Heiratsurkunde als Rufname unterstrichen. Heiratsurkunde Nr. 733/1909. 6 Sterbeurkunde 566/1899. 7 Adressbuch Berlin 1909, Charlottenburg, V. Teil, S. 72. – Heiratsregister Berlin, Heiratsurkunde Wannowski/Busch 733/1909. Auch in der Heiratsurkunde wird das Geburtsjahr von Hanna Busch mit 1886 angegeben. 8 Heiratsurkunde Nr. 733/1909; Heiratsurkunde 4/1895. 9 Wiener Bilder, 9.8.1911, S. 9. 10 Wiener Bilder, 9.8.1911, S. 9. 11 Heiratsregister Berlin, Heiratsurkunde Wannowski/Busch 733/1909. Scheidungsdatum und Namensänderung sind auf der Heiratsurkunde vermerkt. 12 Adressbuch Berlin 1919, 1. Teil, S. 2990. 13 Vgl. Lothar Fischer, Tanz zwischen Rausch und Tod: Anita Berber, 1918-1928 in Berlin, Berlin: Haude & Spener, 3. verbesserte Auflage 1996, S. 23. 14 Vgl. Lothar Fischer, Tanz zwischen Rausch und Tod: Anita Berber, 1918-1928 in Berlin, Berlin: Haude & Spener, 3. verbesserte Auflage 1996, S. 23. 15 Ingeborg Boxhammer: Lea Manti. In: Frankfurter Personenlexikon, 3.6.2021, (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/12124, letzter Abruf 29.8.2023. 16 Claire Waldoff: Weeste noch…? Erinnerungen und Dokumente. Hg. von Volker Kühn, Berlin: Parthas 1997, S. 61 [Originalausgabe von Waldoff: Aus meinen Erinnerungen, Düsseldorf/München 1953]. 17 Claire Waldoff zit.n. Kokula, Ilse: Lesbisch leben von Weimar bis zur Nachkriegszeit. In: Eldorado. Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850-1950. Geschichte, Alltag und Kultur. Berlin: Edition Hentrich 1992, 2. Aufl., S. 149-161, hier 151f. Vgl. Koreen, Maegie: Immer feste druff. Das freche Leben der Kabarettkönigin Claire Waldoff. Düsseldorf: Droste 1997.105-107. Zu Berber, Wanowsky und zum lesbischen (Groß-)Bürgertum vgl. das sehr spannende, leider aber nur eingeschränkt wissenschaftlich nutzbare Buch Rieder, Ines; Voigt, Diana: Heimliches Begehren. Die Geschichte der Sidonie C. Eine verbotene Liebe in Wien. Reinbek: rororo 2003. 18 Vgl. Eintrag in der Wikipedia, gleichwohl ohne Nachweis https://de.wikipedia.org/wiki/Celly_de_Rheidt, letzter Abruf 29.8.2023. 19 Die Stunde, 13.9.1923, S. 4. 20 Auszug aus Leo Lania: Der Tanz ins Dunkel. In: Das kleine Blatt, Wien, 5.2.1930, S. 3f. 21 Allerdings dankte er im Nachwort u. a. Lucie Berber und Susi Wanowski (sic), Leo Lania: Der Tanz ins Dunkel. Anita Berber – Ein biographischer Roman, Berlin: A. Schultz 1929, S. 195f. 22 Die Freundin, 18.2.1931, Nr. 7. 23 Siehe zur weiteren Wirkungsgeschichte mit Fokus auf Frankreich: Julia Drost: La Garçonne. Wandlungen einer literarischen Figur (= Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung Bd. 2). Göttingen: Wallstein 2003. 24 Der Roman erfuhr mehrere – zeitgenössische – französische Verfilmungen (1923 und 1936) und eine in der Nachkriegszeit 1957 durch eine der wenigen Regisseurinnen der 1950er Jahre, Jacqueline Audry (1908-1977). 25 Siehe dazu auch Petra Schlierkamp: Die Garçonne. In: Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 - 1950. Geschichte, Alltag und Kultur; [Ausstellung im Berlin-Museum: 26. Mai – 8. Juli 1984]. Unter Mitarbeit von Michael Bollé. Berlin-Museum; Freunde eines Schwulen-Museums in Berlin e.V.; Eldorado. 2., durchges. Aufl. Berlin: Ed. Hentrich (1992 [1984]), S. 169-179. 26 Siehe z. B. Altenaer Kreisblatt, 23.7.1932, Beiblatt Nr. 171. 27 Dresdner Neue Nachrichten, 22.7.1932, S. 10. 28 Eine Strafakte existiert offenbar nicht mehr, Auskunft LAB vom 22.8.2023. 29 Die Bar wird erwähnt als eine, wo Frauen miteinander tanzen, und zwar in dem NS-Propagandaroman von Hanns Heinz Ewers: Horst Wessel. Ein deutsches Schicksal, Stuttgart, Berlin 1932, S. 82. 30 Auch Lotte Hahm benannte eine ihrer Bars ("Manuela") nach einer bekannten literarischen und Filmfigur: Nach dem Mädchen Manuela aus "Mädchen in Uniform", geschrieben von Christa Winsloe, verfilmt von Leontine Sagan 1931. Siehe zu Lotte Hahm auch Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2021, S. 91-108. 31 Auch dieser Roman wurde verfilmt: 1931, als die "Ariane"-Bar erwähnt wurde, kam "Ariane" von Paul Czinner (1890-1972) in die deutschsprachigen Kinos, mit Elisabeth Bergner (1897-1986) in der Titelrolle. Für beide, die ein Paar wurden, war "Ariane" der vorletzte Film in Deutschland. 1933 mussten sie wegen des antisemitischen NS-Regimes in die USA emigrieren, wo sie ihre Filmkarriere wieder aufnahmen. – Auch Billy Wilders betuliche US-amerikanische Liebesgeschichte "Ariane – Liebe am Nachmittag" (Love in the Afternoon) von 1957 mit Audrey Hepburn und Gary Cooper orientiert sich an der Vorlage von Claude Anet. 32 Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2021, S. 91-108, hier: S. 103. 33 Mitteilung vom 12.9.1937, LAB A Rep. 358-02 Nr. 125038 bis 125040, Bl. 18. – Leider sind die Arbeitsgerichtsakten nicht erhalten. 34 LAB A Rep. 341-02 Nr. 7762. Die Akte ist nur noch fragmentarisch überliefert; eine genauere Beschreibung des Vergehens selbst fehlt. 35 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Deutsches_Reichsgesetzblatt_39T1_170_1698.jpg, letzter Abruf 29.8.2023. 36 LAB A Rep. 341-02 Nr. 7762, B. 6. 37 Auskunft Einwohnermeldekartei Berlin, LAB vom 31.10.2018. 38 Berlin-Schöneberg, Sterbeurkunde Nr. 1948/1952. 39 (Öffentliches) Rauchen und Trinken galten als typische Merkmale der Studentin und der emanzipierten Frau – und über diesen Umweg für die homosexuelle Frau, Hanna Hacker: Frauen* und Freund_innen. Lesarten "weiblicher Homosexualität": Österreich, 1870-1938. Wien: zaglossus 2015 (Challenge gender, 4), bes. S. 90-93. 40 Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus, st 78, Frankfurt/Main, 18. Aufl. 2020 [1953], S. 10ff. 41 Der Oger galt Koeppen vermutlich noch als sagenhaftes menschenähnliches, missgestaltetes und gewalttätiges Wesen. Als abschreckend funktioniert die Verwendung dieser Märchenfigur im 21. Jahrhundert sicher nicht mehr, denn mit dem Animationsfilm "Shrek – Der tollkühne Held" von 2001 unter der Regie von Andrew Adamson und Vicky Jenson wurde der Titelheld zu einem äußerst liebenswürdigen Oger, der eine Prinzessin rettet, die ihn später auch heiratet. 42 Doja Hacker: Gewissheit des Unglücks. In: Der Spiegel, 34/2008, S. 136f. |