"Die schöne Susi" – Schauspielerin und Subkulturwirtin Hanna Busch,
auch Hanna Wannowski / Wanowski (1886/1890-1952),
genannt auch Susi / Susu Wanowski / Wanowsky

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Aus: Wiener Bilder, 9.8.1911, S. 9, Fotograf*in Fr. Weishut (Daten unbekannt), ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Hanna Wannowski, in: Wiener
Bilder, 9.8.1911, S. 9, Fotograf*in
Fr. Weishut (Daten unbekannt),
ANNO/Österreichische
Nationalbibliothek


Der Name Susi oder auch Susu Wanowsky muss in der Berliner Subkultur der Weimarer Republik und auch darüber hinaus einschlägig bekannt gewesen sein: Susi Wanowski war Anfang der 1920er Jahre eine Zeitlang die Geliebte der skandalumwitterten und legendären Tänzerin Anita Berber (1899-1928). Dies dürfte ihr entsprechende Aufmerksamkeit eingebracht haben. Später, 1931/32, betrieb Wanowski in Berlin-Schöneberg zwei Lesbenbars.

Bisher waren kaum weitere Details zu ihrer Biografie bekannt. Bei den Recherchen zur Subkulturaktivistin Lotte Hahm (1890-1967) stießen Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger in einer Akte von 1937 auf den Namen Hanna Wanowski (sic), geborene Busch.1 Zu diesem Zeitpunkt wohnte Wanowski in der Berliner Westendallee 63 bei der Sängerin, Kabarettistin und Filmschauspielerin Kate Kühl (d. i. Elfriede Katharina Nehrhaupt, 1899-1970) zur Untermiete.2 Wanowski gab für die Berliner Meldekarte (hier: Wannowski bzw. Busch) selbst Schauspielerin als Beruf an.3

Wer war Hanna Wan...?

Hieß sie Wanowsky, Wanowski, Wannowski oder Busch mit Nachnamen, Hanna oder Susi, Susu – oder ganz anders mit Vornamen? Und was hatte sie mit Lotte Hahm zu tun? Leider lässt sich ihre Biografie nur in Mosaiksteinen und -steinchen rekonstruieren. Hanna Busch/Wan(n)owski war zeitweise verheiratet (1909-1916) und währenddessen trug sie bis zu ihrer Scheidung den Namen ihres Ehemannes: Wannowski. Auf "Susi" und auch auf Lotte Hahm werden wir zurückkommen.

Als Hanna Busch am 22. Dezember 1886 in Crossen an der Oder in Niederschlesien (heute: Krosyn/Krosno Odrzańskie, Polen) als Tochter von Marie Louise Hermine Busch, geb. Reifenstuhl (ohne Angaben) und dem Kaufmann Eduard Theodor Busch (ca. 1857-1899) geboren wurde, stand ihr Vorname offenbar noch nicht fest, denn im Feld dafür war "noch nicht" eingetragen worden.4 Erst am 29. Dezember 1886 wurde am Seitenrand ergänzt, dass das Kind die Namen "Mary Mathilde Louise Hanna" erhalten habe. Rufname: "Hanna".5 Bislang ist unklar, wann die Familie Busch von Schlesien nach Berlin zog: Als Theodor Eduard Georg Busch im April 1899 mit 41 Jahren starb, lebte er bereits in Charlottenburg und von seiner Frau getrennt.6 Auch Marie Busch wohnt in Berlin-Charlottenburg, und mit ihr in der Grolmanstraße 59 a mindestens ihre Tochter Hanna vor ihrer Hochzeit im Herbst 1909.7

Es ist nicht bekannt, wie die Brautleute einander kennengelernt hatten: Am 20. November 1909 jedenfalls heiratete Hanna Busch den durch seine erfolgreiche Polizeiarbeit in Berlin und über die Stadtgrenzen hinaus sehr bekannten Kriminalkommissar Max Leo Wannowski (geb. 1870). Er war geschieden; seine erste Ehe hatte von 1895 bis 1907 gehalten.8 Mit Max Wannowski wurde oder blieb Hanna Busch Teil der höheren Gesellschaft und bewegte sich auch in kaiserlichem Umfeld: Im Sommer 1911 nahm sie im böhmischen Marienbad (Mariánské Lázně, heute zu Tschechien) an einem Damenhutwettbewerb teil, den die Gräfin Stephanie Lonyay (d. i. Stephanie von Belgien, 1864-1945) im Rahmen eines großen Festes zu Gunsten eines Erholungsheims für Unteroffiziere veranstaltet hatte.9 Die ersten drei Gewinnerinnen des Wettbewerbs wurden abgebildet, so auch Hanna Wannowski aus Berlin, denn sie gewann den 3. Preis.10

Ihre Ehe hielt nur sieben Jahre: Sie hatte sich am 19. Februar 1916 von Max Wannowski scheiden lassen und ihren Geburtsnamen Busch wieder angenommen.11 Die nächsten Jahre bleibt ihr Leben völlig nebulös. Im Berliner Adressbuch findet sich für 1919 eine Anna (!) Wannowski, die "Schankwirtin" ist.12 Könnte es sich bei diesem Eintrag ebenfalls um Hanna Wannowski handeln?

Susi Wanowski und Anita Berber

Die Tänzerin Anita Berber, die seit etwa 1916 auf namhaften Bühnen von sich reden machte, hatte 1919 den Offizier Eberhard von Nathusius (1895-1942) geheiratet. Die Legende erzählt, Anita Berber habe ihn zwei Jahre später für "Susi Wanowski" verlassen.13 Dass Liebesbeziehungen oder sexuelle Abenteuer zu verschiedenen Personen sich überschneiden oder gar parallel geführt werden können, ist in diesem Narrativ offenbar überhaupt nicht vorgesehen. Allerdings soll Susi Wanowski nicht nur Anita Berbers Geliebte gewesen sein, sondern "ihr auch Rückendeckung" gegeben haben. Sie sei, so Berber-Biograf Lothar Fischer, auch ihre Managerin und Beraterin gewesen.14
Die beiden Frauen zogen zusammen, ob zuerst beide in Wannowskis Wohnung und dann zu den Berbers, bleibt unklar. Jedenfalls lebte Wannowski bald mit Anita Berber, Berbers Mutter und ihren Tanten gemeinsam in der Zähringerstraße 13 in Wilmersdorf, wo Lucie Berber, geb. Thiem (1877-1954) eine große Wohnung angemietet hatte. Anita Berbers Mutter war selbst Tänzerin und Sängerin. Während die Karriere ihrer Tochter sich zu entfalten begann, war Lucie Berber längst eine bekannte Bühnengröße. Auch sie trat weiterhin auf, zum Beispiel im April 1921 bei der Kunstpfeiferin und Theaterleiterin Lea Manti (1886-1960) in "Lea Mantis Künstlerspielen" in Frankfurt am Main.15 Lea Manti, die Kunstpfeiferin im Frack und mit kurz geschnittenen Haaren, war auch in Berlin ein gern gesehener Star: Sie dockte dort bald an der sich weiter entwickelnden Subkulturszene an. Es ist nahe liegend, dass alle genannten Akteurinnen* miteinander befreundet oder zumindest gut bekannt waren.

Die Stars der Zeit trafen sich mitunter auch in den gut besuchten lesbischen Nachtklubs. Die damals schon berühmte Kabarettistin und Chansonsängerin Claire Waldoff berichtet: "Zwischendurch erschienen, mit großem Hallo begrüßt, die Koryphäen der damaligen Zeit. (…) die hinreißende Tänzerin Anita Berber und Celly de Rheydt und die schöne Susu Wannowsky [sic] und ihre Korona. Jeden Montag stieg diese ‚Pyramide' in der Schwerinstraße um neun Uhr abends; es war das typische Berliner Nachtleben mit seiner Sünde und seiner Buntheit."16 Der "Topp", wie der Toppkeller mit seinem gemischten Publikum von Eingeweihten oft nur kurz genannt wurde, lag in der Berliner Schwerinstraße 13. Hier oder anderenorts in derselben Straße traf sich montags abends um neun Uhr der Lotterieverein "Die Pyramide", dem ältere Damen vorstanden. Es war eine "sehr gemischte Gesellschaft", wie Claire Waldoff fand, die dort u. a. die Schauspielerin Gertrud Eysoldt (1870-1955), die Tänzerin Anita Berber (1899-1928) und die mit ihr Anfang der zwanziger Jahre liierte Sängerin Susi Wanowski traf.17 Auch Celly de Rheidt (d. i. Anna Cäcilie Marie Funk, 1889-1969) sorgte als skandalöse Nackttänzerin für Schlagzeilen: 1922 soll sie in Leipzig einen lesbischen Vampirtanz aufgeführt haben.18

Und bei der von Claire Waldoff genannten Susu Wannowsky dürfte es sich um Hanna Wannowski, geborene Busch, handeln. Wie es zum Vornamen "Susi" [Susu] kam, kann nur spekuliert werden. Ein Hinweis dazu findet sich in einem Zeitungsartikel über "Anita Berber und die Bankiersgattin": Dort wird über eine mögliche Affäre zwischen der Tänzerin und Alice Sussin, geb. Fuchs (1903-1972), berichtet, die im März 1923 in Wien großes Aufsehen zu erregen schien. Der Artikel führt zum Verständnis der aktuellen Berichterstattung eine ähnliche frühere Geschichte in Berlin an: "Im Nachtleben Wiens und Berlins kennt man sehr gut die ‚schwarze Susi', eine bildhübsche Frau. Sie war die Frau eines bekannten Berliner Polizeifunktionärs, der im Berliner Polizeipräsidium eine der höchsten Stellen bekleidete und längere Zeit dem Gefolge Kaiser Wilhelms eingeteilt war. (…) Eines schönen Tages verließ die Frau des Polizeibeamten ihren Mann, um der Tänzerin willen."19 Wenn Hanna Busch Max Wannowski tatsächlich wegen Berber verließ, hätte die Beziehung zwischen beiden wohl bereits spätestens 1916 begonnen. Wie lange sie währte, ist nicht überliefert. Der biografische Roman des Journalisten Leo Lania (1896-1961) kolportiert Anita Berber als launische, unsichere und unberechenbare Person, der "Susi" einen Halt gab. Aber Lania schien sie als Berbers Partnerin nicht ernst zu nehmen; er schrieb ihr – wohl durchaus sexistisch motiviert – Eifersucht zu: "Die kleine Freundin keifte und schluchzte durcheinander".20 Die Umschreibung "kleine Freundin" lässt sich über sexistische Abwertung hinaus so interpretieren, dass es sich seines Erachtens nicht um eine große Liebesgeschichte handeln konnte.21

Die "schöne Susi"


Die Bezeichnung "schwarze Susi" – später auch: die "schöne Susi" – könnte sich auf eine Theater- oder Filmrolle beziehen, die Hanna Busch als Schauspielerin bekleidet hatte und mit der sie über die Berliner und/oder Wiener Stadtgrenzen hinaus berühmt geworden war. Spätestens Ende der 1920er Jahre spielte Hanna Busch eine maßgebliche Rolle in der lesbischen Bar- und Klubszene Berlins. Durch eine Anzeige in der "Freundin" wissen wir, dass sie Anfang 1931 unter dem Namen Susi Wanowsky für eine Bar als Treffpunkt warb, den sie "La Garçonne" nannte.22 Die Bar befand sich in der Kalckreuthstraße 11, also in dem Gebäude, wo seit Anfang 1930 auch eines der beiden "Eldorados" in Schöneberg angesiedelt war. "La Garçonne" – als weibliche Form von garçon (Junge/Jüngling) – ist ein französischer (und neologistischer, also neu geprägter) Ausdruck für lesbische Frauen und meint in etwa eine Junggesellin. Der französische Schriftsteller Victor Margueritte (1866-1942) hatte 1922 mit seinem gleichnamigen Roman Aufsehen erregt23: Der Roman erzählt von einer jungen Frau, die sich von konventionellen Rollenzwängen und Beziehungsmustern abwendet und ein selbstbestimmtes Leben lebt.24 An dem Romantitel "La Garçonne" orientierte sich nicht nur Hanna Busch alias Susi Wannowski zur Benennung ihres Treffpunktes, sondern auch eine neue Lesbenzeitschrift dieses Namens machte in Berlin ab Herbst 1930 die Runde.25 Viel mehr, als dass Busch/Wannowski die Bar eröffnete, lässt sich in den Lesbenzeitschriften leider nicht weiterverfolgen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Hanna Busch offenbar spätestens 1932 in einen groß angelegten Kokainhandel verwickelt war, der eines ihrer Etablissements – hier: die Bar "Ariane" in der Schöneberger Keithstraße (auch ein Subkulturlokal) – als Kontaktbörse nutzte.26 Scheinbar – so berichten es in einer jeweils allein stehenden Meldung mehrere Zeitungen parallel – hatte eine Person aus Minsk namens Harald Rodstein (oder ähnlich) die "Ariane-Bar" in der Keithstraße als Vermittlungsstelle für potenzielle Kundschaft eingesetzt. In einer nahegelegenen Pension sollte er ein "Geheimtelephon" installiert haben, mit dem er aus der Bar Bestellungen entgegennahm – entweder durch die Bestellenden selbst oder durch Hanna Busch. Deshalb sei sie als Geschäftsführerin auch verhaftet worden.27

Ob Hanna Busch jedoch tatsächlich in diese Geschichte involviert gewesen ist, vor Gericht gestellt oder sogar verurteilt wurde, konnte bisher nicht geklärt werden.28

Die Bar "Ariane" wird nur selten erwähnt.29 Auch eine Anzeige haben wir dazu noch nicht ausfindig machen können. Da sich zur Namensgebung "La Garçonne" einiges assoziieren lässt, ist auch "Ariane" sicher kein Zufall.30 Wenn ein literarischer Bezug gesucht wird, so bietet sich der gleichnamige Roman von Claude Anet (d. i. Jean Schopfer (1868-1931) an, den dieser 1920 veröffentlichte und der 1924 in Deutsch erschien. In "Ariane, ein russisches Mädchen" lässt sich eine emanzipierte junge Frau ihr Studium von einem Mann bezahlen, mit dem sie dafür unverbindlichen Sex hat. Das wird erst zum Problem, als sie sich in einen anderen Mann verliebt.31

Nur zwei Jahre später, 1934, aber ein Jahr nach Machtübergabe an Adolf Hitler und die NSDAP, wird Hanna Busch von Lotte Hahm als Wirtin einer Pension angefragt. Lotte Hahm plante wohl abseits der von den Nazis 1933 verbotenen Klubs die Eröffnung einer Pension auf der kleinen Ostseeinsel Hiddensee – vermutlich für Lesben.32 Allerdings hatte dann offenbar der Verpächter darauf bestanden, dass die Pension von einer Insulanerin geführt werde, und Hahm hatte ihr Versprechen gegenüber Wannowski nicht einlösen können. Weil diese dafür alle anderen Verpflichtungen abgesagt hatte und nun ohne Verdienst dastand, verklagte sie Hahm 1935 erfolgreich vor dem Berliner Arbeitsgericht. Dazu sagte Wannowski am 12. August 1937 vor der Berliner Polizei aus, denn gegen Hahm wurde zu dieser Zeit wegen einer Betrugsanzeige ermittelt. Bei dieser Aussage wurde Hanna Wanowski (sic), geborene Busch genannt. Möglicherweise hatte sie versucht, den noch immer nicht gezahlten, aber ihr zustehenden Geldbetrag als weiteren Betrugsversuch von Hahm anzuzeigen, aber das Verfahren wurde eingestellt, weil es sich laut Gerichtsassessor dabei nicht um Betrug handelte.33

Fünf Jahre später geriet Hanna Wannowski (wieder?) selbst mit dem Gesetz in Konflikt: Gegen sie wurde 1942 ein "Strafverfahren wegen Vergehens gegen § 23 Kraftfahrgesetz (KFG) sowie gegen §§ 1, 2, 4 der Verordnung über die Weiterbenutzung von KFZ" eingeleitet.34 Es ist anzunehmen, dass Wannowski eine "Kraftdroschke" (das ist eine andere Bezeichnung für ein Taxi) für private Zwecke genutzt hat. Dies war laut der Verordnung vom 6. September 1939 ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht mehr zulässig;35 Hanna Wannowski wurde eine Geldstrafe von 40 Reichsmark oder – falls sie diese nicht aufbringen konnte – fünf Tage Gefängnis auferlegt.36 Wohin sie mit dem Wagen gefahren ist, ob sie den Geldbetrag zahlen konnte – wir wissen es nicht. Auch muss offenbleiben, wie sie sich zur NS-Diktatur verhielt, genauso wie Fragen zur bundesdeutschen Nachkriegszeit.

Zu dem Zeitpunkt, 1942, war Hanna Wannowski 56 Jahre alt. Die in der Akte angegebene Adresse (Bayerischestr. 23) ist ein Eckhaus und war daher vermutlich identisch mit der Zähringerstraße 13 in Berlin-Wilmersdorf, wo Lucie Berber, die Mutter von Anita Berber wohnte und wo Wannowski spätestens seit dem 15. Juli 1951 wieder gemeldet war.37 Lucie Berber überlebte die Geliebte ihrer Tochter um zwei Jahre: Hanna Wannowski starb im Alter von nur 65 Jahren am 28. Oktober 1952 auf einem Transport ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus.38

Eine Wanowski in Wolfgang Koeppens "Treibhaus"

Der Name "Susi Wanowski" spukte über ihren Tod hinaus in vielen Köpfen herum. Für manchen Ehemann schien er der Inbegriff von lesbischer Bedrohung zu sein: Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (1906-1996), ein bedeutender Autor der Nachkriegsliteratur, vermischte reale Ereignisse und den Namen "Wanowski" mit seiner erfundenen Handlung im Buch "Das Treibhaus". In dem 1953 erschienenen Roman kehrt die Hauptfigur, der Journalist Felix Keetenheuve, 1945 aus dem Exil nach Deutschland zurück und wird in Bonn Bundestagsabgeordneter der SPD. Er scheitert jedoch nicht nur am Staatsapparat und dem damit verbundenen Treibhausklima, sondern er verzweifelt auch über den Suizid seiner sehr jungen Ehefrau, die neben einem Alkoholproblem auch eine Geliebte hatte. Der Roman endet damit, dass auch Keetenheuve sich das Leben nimmt. Auffällig ist, dass Koeppen im Roman eine lesbische Frau, die er abfällig und diffamierend beschreibt, "Wanowski" nennt und mit Schlüsselwörtern aus der Subkultur der Weimarer Republik verbindet: So sitzt "die Wanowski" in einer Bar, die mit dem Namen ‚Skorpion' sicher an den 1919 veröffentlichten Lesbenroman "Der Skorpion" von Anna Elisabet Weirauch (1887-1970) erinnern soll. Zudem raucht "die Wanowski" Zigarre – ein stereotypisiertes Utensil vermeintlich maskuliner (lesbischer) Frauen.39 Koeppen diffamiert sie in seiner literarischen Beschreibung, die möglicherweise nicht nur auf die fiktive Figur, sondern auch auf die reale Hanna Wannowski gemünzt war. Dabei schreckt er vor keinem Klischee zurück, mit dem er "Wanowski" herabsetzen kann: "Sie trug einen Männeranzug, den Anzug eines dicken Mannes, stramm wölbte sich das Gesäß, die überhöhten, mit Watte gepolsterten Schultern waren ein Gleichnis des Penisneides, lächerlich und furchtbar zugleich, und zwischen den schwellenden Lippen unter dem mit Kork abgebrannten Bartflaum kaute sie am häßlichen zerknatschten Stummel einer bitteren Zigarre."40 In der Diktion von Keetenheuve bezeichnet Koeppen sie außerdem als Oger41 und fantasiert dabei zudem genüsslich, wie er sie ermordet. Es ist kaum erträglich, diese Beschreibung zu lesen.

Nach Koeppens Tod wurden Tagebücher ausgewertet und Parallelen zwischen der missglückten Ehe von Keetenheuve und der von Wolfgang und der 20 Jahre jüngeren Marion Koeppen (ca. 1927-1984) aufgedeckt, die parallel mit einer Münchner Freundin, der Taxifahrerin Gerda Kiefl (ca. 1926-1972, ermordet von Unbekanntem), eine Liebesbeziehung einging.42 Die Beobachtungen und Gedanken, die Koeppen seinem Protagonisten in den Mund legt, sind sexistisch und lesbenfeindlich. Zu den Hintergründen, warum er den Namen einer verstorbenen real existierenden lesbischen Klubgröße aus Berlin für seinen Roman verwendete, wurde unseres Wissens bisher noch nicht geforscht. Das Leben von Susi/Susu Hanna Wan(n)owski/Wanowsky/Busch wird wohl so verwirrend unklar bleiben wie die vielen Vornamen und Namen(sschreibweisen) der Berliner Subkulturwirtin – und auch die Größe ihres Wagenrad-Hutes aus dem Jahr 1911 bietet Platz für viele Spekulationen und Projektionen…


Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger (Bonn/Berlin 8/2023)



Zitiervorschlag:
Ingeborg Boxhammer/Christiane Leidinger: "Die schöne Susi" – Schauspielerin und Subkulturwirtin Hanna Busch, auch Hanna Wannowski/Wanowski (1886/1890-1952), genannt auch Susi/Susu Wanowski/Wanowsky. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane (2023). URL https://www.lesbengeschichte.org/bio_busch_d.html [cited DATE].






1 Landesarchiv Berlin (LAB) A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 5. Zu Lotte Hahm: Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1/2021, S. 91-108. Online: https://doi.org/10.3224/gender.v13i1.07.


2 LAB A Rep. 358-02 Nr. 125038, Bl. 5.


3 Einwohnermeldekartei B. Rep.021/Datenbank, LAB vom 31.10.2018.


4 Geburtsurkunde Nr. 185/1886. Für den Eintrag in der Berliner Meldekarte gab Hanna Busch das Geburtsjahr 1890 an – offenbar ohne Vorlage der Geburtsurkunde. Diese Angabe war auch die Grundlage für den Eintrag 1890 als Geburtsjahr in ihre Sterbeurkunde. Da die Geburtsurkunde als Vordruck genutzt wurde, der die ersten drei Ziffern des Geburtsjahres vorgab ("188..."), ist dort ein derartiges Verschreiben beim Eintrag nicht möglich. Einwohnermeldekartei B. Rep.021/Datenbank, LAB vom 31.10.2018.


5 Hanna ist in der Heiratsurkunde als Rufname unterstrichen. Heiratsurkunde Nr. 733/1909.


6 Sterbeurkunde 566/1899.


7 Adressbuch Berlin 1909, Charlottenburg, V. Teil, S. 72. – Heiratsregister Berlin, Heiratsurkunde Wannowski/Busch 733/1909. Auch in der Heiratsurkunde wird das Geburtsjahr von Hanna Busch mit 1886 angegeben.


8 Heiratsurkunde Nr. 733/1909; Heiratsurkunde 4/1895.


9 Wiener Bilder, 9.8.1911, S. 9.


10 Wiener Bilder, 9.8.1911, S. 9.


11 Heiratsregister Berlin, Heiratsurkunde Wannowski/Busch 733/1909. Scheidungsdatum und Namensänderung sind auf der Heiratsurkunde vermerkt.


12 Adressbuch Berlin 1919, 1. Teil, S. 2990.


13 Vgl. Lothar Fischer, Tanz zwischen Rausch und Tod: Anita Berber, 1918-1928 in Berlin, Berlin: Haude & Spener, 3. verbesserte Auflage 1996, S. 23.


14 Vgl. Lothar Fischer, Tanz zwischen Rausch und Tod: Anita Berber, 1918-1928 in Berlin, Berlin: Haude & Spener, 3. verbesserte Auflage 1996, S. 23.


15 Ingeborg Boxhammer: Lea Manti. In: Frankfurter Personenlexikon, 3.6.2021, (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/12124, letzter Abruf 29.8.2023.


16 Claire Waldoff: Weeste noch…? Erinnerungen und Dokumente. Hg. von Volker Kühn, Berlin: Parthas 1997, S. 61 [Originalausgabe von Waldoff: Aus meinen Erinnerungen, Düsseldorf/München 1953].


17 Claire Waldoff zit.n. Kokula, Ilse: Lesbisch leben von Weimar bis zur Nachkriegszeit. In: Eldorado. Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850-1950. Geschichte, Alltag und Kultur. Berlin: Edition Hentrich 1992, 2. Aufl., S. 149-161, hier 151f. Vgl. Koreen, Maegie: Immer feste druff. Das freche Leben der Kabarettkönigin Claire Waldoff. Düsseldorf: Droste 1997.105-107. Zu Berber, Wanowsky und zum lesbischen (Groß-)Bürgertum vgl. das sehr spannende, leider aber nur eingeschränkt wissenschaftlich nutzbare Buch Rieder, Ines; Voigt, Diana: Heimliches Begehren. Die Geschichte der Sidonie C. Eine verbotene Liebe in Wien. Reinbek: rororo 2003.


18 Vgl. Eintrag in der Wikipedia, gleichwohl ohne Nachweis https://de.wikipedia.org/wiki/Celly_de_Rheidt, letzter Abruf 29.8.2023.


19 Die Stunde, 13.9.1923, S. 4.


20 Auszug aus Leo Lania: Der Tanz ins Dunkel. In: Das kleine Blatt, Wien, 5.2.1930, S. 3f.


21 Allerdings dankte er im Nachwort u. a. Lucie Berber und Susi Wanowski (sic), Leo Lania: Der Tanz ins Dunkel. Anita Berber – Ein biographischer Roman, Berlin: A. Schultz 1929, S. 195f.


22 Die Freundin, 18.2.1931, Nr. 7.


23 Siehe zur weiteren Wirkungsgeschichte mit Fokus auf Frankreich: Julia Drost: La Garçonne. Wandlungen einer literarischen Figur (= Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung Bd. 2). Göttingen: Wallstein 2003.


24 Der Roman erfuhr mehrere – zeitgenössische – französische Verfilmungen (1923 und 1936) und eine in der Nachkriegszeit 1957 durch eine der wenigen Regisseurinnen der 1950er Jahre, Jacqueline Audry (1908-1977).


25 Siehe dazu auch Petra Schlierkamp: Die Garçonne. In: Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 - 1950. Geschichte, Alltag und Kultur; [Ausstellung im Berlin-Museum: 26. Mai – 8. Juli 1984]. Unter Mitarbeit von Michael Bollé. Berlin-Museum; Freunde eines Schwulen-Museums in Berlin e.V.; Eldorado. 2., durchges. Aufl. Berlin: Ed. Hentrich (1992 [1984]), S. 169-179.


26 Siehe z. B. Altenaer Kreisblatt, 23.7.1932, Beiblatt Nr. 171.


27 Dresdner Neue Nachrichten, 22.7.1932, S. 10.


28 Eine Strafakte existiert offenbar nicht mehr, Auskunft LAB vom 22.8.2023.


29 Die Bar wird erwähnt als eine, wo Frauen miteinander tanzen, und zwar in dem NS-Propagandaroman von Hanns Heinz Ewers: Horst Wessel. Ein deutsches Schicksal, Stuttgart, Berlin 1932, S. 82.


30 Auch Lotte Hahm benannte eine ihrer Bars ("Manuela") nach einer bekannten literarischen und Filmfigur: Nach dem Mädchen Manuela aus "Mädchen in Uniform", geschrieben von Christa Winsloe, verfilmt von Leontine Sagan 1931. Siehe zu Lotte Hahm auch Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2021, S. 91-108.


31 Auch dieser Roman wurde verfilmt: 1931, als die "Ariane"-Bar erwähnt wurde, kam "Ariane" von Paul Czinner (1890-1972) in die deutschsprachigen Kinos, mit Elisabeth Bergner (1897-1986) in der Titelrolle. Für beide, die ein Paar wurden, war "Ariane" der vorletzte Film in Deutschland. 1933 mussten sie wegen des antisemitischen NS-Regimes in die USA emigrieren, wo sie ihre Filmkarriere wieder aufnahmen. – Auch Billy Wilders betuliche US-amerikanische Liebesgeschichte "Ariane – Liebe am Nachmittag" (Love in the Afternoon) von 1957 mit Audrey Hepburn und Gary Cooper orientiert sich an der Vorlage von Claude Anet.


32 Boxhammer, Ingeborg; Leidinger, Christiane: Offensiv – strategisch – (frauen)emanzipiert: Spuren der Berliner Subkulturaktivistin* Lotte Hahm (1890-1967). In: GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 1-2021, S. 91-108, hier: S. 103.


33 Mitteilung vom 12.9.1937, LAB A Rep. 358-02 Nr. 125038 bis 125040, Bl. 18. – Leider sind die Arbeitsgerichtsakten nicht erhalten.


34 LAB A Rep. 341-02 Nr. 7762. Die Akte ist nur noch fragmentarisch überliefert; eine genauere Beschreibung des Vergehens selbst fehlt.


36 LAB A Rep. 341-02 Nr. 7762, B. 6.


37 Auskunft Einwohnermeldekartei Berlin, LAB vom 31.10.2018.


38 Berlin-Schöneberg, Sterbeurkunde Nr. 1948/1952.


39 (Öffentliches) Rauchen und Trinken galten als typische Merkmale der Studentin und der emanzipierten Frau – und über diesen Umweg für die homosexuelle Frau, Hanna Hacker: Frauen* und Freund_innen. Lesarten "weiblicher Homosexualität": Österreich, 1870-1938. Wien: zaglossus 2015 (Challenge gender, 4), bes. S. 90-93.


40 Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus, st 78, Frankfurt/Main, 18. Aufl. 2020 [1953], S. 10ff.


41 Der Oger galt Koeppen vermutlich noch als sagenhaftes menschenähnliches, missgestaltetes und gewalttätiges Wesen. Als abschreckend funktioniert die Verwendung dieser Märchenfigur im 21. Jahrhundert sicher nicht mehr, denn mit dem Animationsfilm "Shrek – Der tollkühne Held" von 2001 unter der Regie von Andrew Adamson und Vicky Jenson wurde der Titelheld zu einem äußerst liebenswürdigen Oger, der eine Prinzessin rettet, die ihn später auch heiratet.


42 Doja Hacker: Gewissheit des Unglücks. In: Der Spiegel, 34/2008, S. 136f.